„Poesie ist keine Luxusangelegenheit. Denn die Beschaffenheit des Lichts, mit dem wir unsere Lebensweisen ausleuchten, hat einen direkten Einfluss auf die Weise, wie wir leben und auf die Veränderungen, die wir durch unsere Leben zu hoffen bringen. […] Poesie ist die Art, mit der wir dem Unbenannten Namen geben, sodass es gedacht werden kann. Denn unsere Empfindungen sind Zufluchtsorte und Humus für die radikalsten und gewagtesten unserer Ideen.“ (Audre Lorde)
Feministische Positionen lassen sich in den vielfältigsten Ausdrucksformen finden – in Poesie, Film, Musik und Kunst. Sie sind der Ausgangs- und Endpunkt kämpferischer Reden für die Gleichstellung von Frauen bzw. FLINTA und Männern, entlarven Zusammenhänge von Diskriminierung, Rassismus und Sexismus im (kulturellen) Leben, beleuchten in Filmen emanzipierte, auch queere Lebensformen, werden zu empowernden Visionen und Visualisierungen von Freiheit. Liest man die Zeilen der feministischen Schriftstellerin und Aktivistin Audre Lorde (1934–1992) zur Verbindung von Poesie und Leben, so wird schnell klar, dass Poesie in diesem Kontext auch Kunst, Musik, Tanz oder jede andere künstlerische Ausdrucksform sein kann.
Feministische Bewegungen in Aktivismus und Kunst eint zuallererst die Kritik an patriarchalen Strukturen und Machtverhältnissen in unserer Gesellschaft. Sie hinterfragen und untersuchen, wem, wann und warum in der Geschichte, aber auch in der Gegenwart, Bedeutung und Raum zugesprochen oder abgesprochen wird. Der Forderung nach einer Neubewertung des sogenannten Kanons der Kulturgeschichte folgt dabei auch die Befreiung von dem männlich geprägten Blick, denn, wie die Philosophin Simone de Beauvoir (1908–1986) schreibt:
„Die Vorstellung der Welt ist, wie die Welt selbst, das Produkt der Männer [heute würden wir ergänzen: das Produkt von überwiegend weißen Cis-Männern]: Sie beschreiben sie von ihrem Standpunkt aus, den sie mit der absoluten Wahrheit gleichsetzen.“
Die Reaktion der feministischen Kunstgeschichte auf diesen Zustand hat die Kunsthistorikerin Linda Nochlin (1931–2017) in ihrem zentralen Aufsatz von 1971 mit dem durchaus ironischen Titel Why Have There Been No Great Women Artists (Warum hat es keine bedeutenden Künstlerinnen gegeben?) formuliert: Feministische Kunstgeschichte ist da, um – so Nochlin – Ärger zu machen und die bisherigen Grundsätze der Disziplin in Frage zu stellen. Denn natürlich hat es seit jeher bedeutende Künstlerinnen gegeben, allerdings haben sie, aus dem Grund, den Beauvoir beschreibt, meist keinen Eingang in die Geschichtsschreibung gefunden oder ihr Schaffen wurde stereotypen Vorstellungen von Weiblichkeit untergeordnet. Häufig wurden Frauen in der Rolle der Muse, des Modells oder der Ehefrau zwar verehrt, aber nicht als sich künstlerisch verwirklichende Persönlichkeiten akzeptiert. Dementsprechend wurden sie auch von der Forschung über Jahrhunderte nur am Rande des kunsthistorischen Kanons behandelt oder schlichtweg nicht erwähnt. Die Debatte um die Präsenz von Künstlerinnen in Museen und Akademien, die Linda Nochlin mit ihrem Aufsatz angestoßen hat, bleibt daher nach wie vor bestehen. Bis heute kritisiert die Aktivistinnengruppe der Guerilla Girls mit Plakaten und Protestaktionen, dass der weibliche Körper in Museen und anderen Kultureinrichtungen zwar omnipräsent ist, aber der prozentuale Anteil von Künstlerinnen in Sammlungen und Ausstellungen nach wie vor zu wünschen übriglässt.
Die Thematisierung des Körpers, vor allem des weiblichen Körpers als Politikum, spielt daher in vielen Arbeiten von Künstlerinnen, durch viele Epochen und Kunstbewegungen hinweg, eine zentrale Rolle. Eine vergessene Pionierin feministischer Kunst zu Beginn des 20. Jahrhunderts ist Hanna Nagel (1907–1975), der die Kunsthalle Mannheim eine erste Retrospektive widmet (08.04.–03.07.2022, kuratiert von Dr. Inge Herold). Stets gesellschaftskritisch und mit einem direkten Blick auf problematische Lebenslagen von Frauen beschäftigt sich Nagel mit den Geschlechterrollen von Mann und Frau und thematisiert dabei auch den bis heute brisanten Konflikt zwischen Berufstätigkeit und Mutterschaft.
Spätestens in der feministischen und explizit kanonkritischen Kunst der 1960er-Jahre wird der Körper selbst zur BODY ART (Körperkunst). Künstlerinnen wie Marina Abramović, Valie Export, Ana Mendieta oder Yoko Ono verwenden ihren eigenen Körper als künstlerisches Mittel: Dabei nutzen sie die Möglichkeiten der Performance und der Neuen Medien (wie der Fotografie oder des Films) um bewusst mit männlich konnotierten Mitteln, wie z. B. dem Pinsel, zu brechen und das etablierte System der Geschichtsschreibung zu unterlaufen, das Kunstschaffende in männliche Genies auf der einen und Künstlerinnen oder Musen auf der anderen Seite aufteilt. Sinnbildlich unter Beschuss steht dieses gesellschaftliche System in den frühen Arbeiten Niki de Saint Phalles (1930–2002), wie in Tir-séance Galerie J (Schuss – Aktion Galerie J) von 1961, das in der neuen Sammlungspräsentation im Billingbau der Kunsthalle Mannheim gezeigt wird. In Performances beschießt die Künstlerin ihre eigenen Bilder, die aus Gipsreliefs und Farbbehältern bestehen, die durch die Schüsse ihre Farbe freigeben und überlaufen. Sie sind Ausdruck von de Saint Phalles Kritik an der Allgegenwart von Krieg und Gewalt (eine allgemeingültige Kritik bis heute (!) – in ihrer Zeit der Vietnamkrieg und der Kalte Krieg) und dem Patriarchat (=Gesellschaftssystem, in dem Männer eine bevorzugte Stellung in allen Bereichen des Lebens genießen). Gleichzeitig sind die Performances und die dabei entstandenen Bilder Ausdruck einer feministischen Haltung, indem sie die Deutungshoheit über den eigenen Körper zurückerobern, wie die Künstlerin selbst in einem Interview sagte:
„Indem ich auf mich selbst schoss, zielte ich auf die Gesellschaft und ihre Ungerechtigkeiten. Indem ich das Visier auf die Wut in mir richtete, zielte ich auf die Gewalt der Zeit.“
Frauen bzw. FLINTA (= Frauen, Lesben, Intersexuelle Menschen, Nicht-binäre Personen, Transgender/Transfrauen) erleben auch in unserer heutigen Welt Gewalt, Diskriminierung und Benachteiligung. Künstler*innen aus allen kulturellen Bereichen haben seit jeher gesellschaftliche Missstände und den Missbrauch von Macht kritisiert und Handlungsoptionen aufgezeigt – Audre Lorde schreibt zu recht: „Es sind nicht die Unterschiede, die uns hemmen, es ist das Schweigen.“
Die Zitate von Audre Lorde stammen aus AnouchK Ibacka Valiente (Hg.): Vertrauen, Kraft und Widerstand. Kurze Texte und Reden von Audre Lorde, aus dem Englischen übersetzt von Pasquale Virginie Rotter, Hiddensee 2019, S. 72-73, S. 44.
Simone de Beauvoir: Das andere Geschlecht – Sitte und Sexus der Frau (Neuübersetzung), Reinbek/H 1992, S. 194.