Weblog von Dr. Inge Herold

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„Cobra ist eine Kunstform, die die Kindheit anstrebt… mit den Mitteln, die Erwachsenen zur Verfügung stehen“

„Cobra ist eine Kunstform, die die Kindheit anstrebt… mit den Mitteln, die Erwachsenen zur Verfügung stehen“

10.02.23
Introtext: 

Wie andere historische Künstlervereinigungen war auch die 1948 gegründete Künstlergruppe CoBrA einerseits auf der Suche nach einer neuen Sprache, neuen Vorbildern und Quellen der Inspiration, andererseits grenzte sie sich deutlich von Positionen ab, die künstlerisch wie gesellschaftlich als konventionell und überholt galten. Als zentral erwies sich die Erfahrung des Krieges und damit einhergehend das Fehlen einer sich frei entwickelnden Kunstszene. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass es den Künstler*innen um Freiheit, Revolution und Distanz zu künstlerischen wie gesellschaftlichen Konventionen ging, verbunden immer wieder mit dem Bezug zur Kindheit. So schrieb Karel Appel rückblickend: „… die Cobra-Gruppe begann neu, und als erstes warf sie alles über Bord, was wir kannten, und begann von vorn wie ein Kind – frisch und neu.“ Als Vorbilder oder künstlerische Bezugspunkte spielten Pablo Picasso, Wassily Kandinsky, Joan Miró und vor allem Paul Klee eine wichtige Rolle. Verbunden mit diesen Künstlern war die Vorbildhaftigkeit der Kunst von Kindern, die Inspiration durch kindliches Gestalten. Im Kern bestand bei aller Individualität die Botschaft der Gruppe in der Betonung des existenziellen Verlangens eines jeden, sich kreativ zu äußern, eines Verlangens, dem durch keine Normen und Regeln Beschränkung auferlegt werden durfte. Was sie formal verband, war eine expressive spontane Malweise und die Freude an reinen Farben. Fantastische Mischwesen aus Mensch, Tier und Pflanze fungierten als symbolischer Ausdruck für die Sehnsucht nach naturhaften Ursprüngen, nach dem Unverfälschten und Unverbildeten. Bewusst naiv gestaltete und stilisierte Tiermotive, aber auch Mutter und Kind-Darstellungen gehörten so zum charakteristischen Motivkreis der CoBrA-Künstler*innen. Im Protest gegen die zeitgenössische Gesellschaft und ihre herrschenden Mächte diente das Kind, das noch nicht verantwortlich an dieser Gesellschaft beteiligt ist, als die Verkörperung des unschuldigen und unabhängigen Außenseiters.

  

Ausstellungsansichten "Becoming CoBrA", Werke von Karel Appel und Constant, Fotos, 2023 © Kunsthalle Mannheim

Paul Klee wurde zum wichtigen Vorbild. Schon früh hatte sich dieser für die Bildgestaltung von Kindern interessiert und strebte in seinen Arbeiten eine Synthese zwischen bewusst gemachter Bildgestaltung und einem ursprünglichen elementaren, spontanen, kindlichen Ausdruckswillen an. Ganz im Sinne von Pierre Alechinskys Ausspruch: „CoBrA ist eine Kunstform, die die Kindheit anstrebt… mit den Mitteln, die Erwachsenen zur Verfügung stehen.“ 1902 entdeckte Klee seine eigenen Kinderzeichnungen wieder und als er 1911 sein Werkverzeichnis begann, nahm er diese als vollwertige Werke mit auf. In Klees Werk ist besonders der Übermut von Kindern wichtig, die spielerisch die Welt erforschen und mit wagemutigen Kapriolen versuchen, die Schwerkraft des Realen zu überwinden.

 

Kinderzeichnungen als Quelle der Inspiration

Die Beschäftigung mit der Kunst von Kindern ist kein Phänomen der Avantgarde des 20. Jahrhunderts. Schon Caspar David Friedrich sah das Kind als Prototypen des Künstlers an. Um die Wende zum 20. Jahrhundert nahm die Auseinandersetzung mit der Kunst von Kindern jedoch beträchtlich zu und schlug sich in Ausstellungen und Publikationen nieder. So begannen 1908 auch Wassily Kandinsky und Gabriele Münter Kinderzeichnungen zu sammeln und sich in ihrer Ausdrucksweise an deren Sprache zu orientieren. Die Beschäftigung damit lag geradezu in der Luft, stand sie doch für die Sehnsucht nach unverfälschter Kunstäußerung, jenseits jeder bürgerlichen Erwartung, ohne jede prägende Vorbildung. Auch in der Kunsthalle Mannheim sollte das Thema eine wichtige Rolle spielen. 1921 wurde hier die von Gustav Friedrich Hartlaub kuratierte Ausstellung „Der Genius im Kinde“ gezeigt. Anliegen war es, die Reinheit und Unbefangenheit der schöpferischen Kraft von Kindern einer durch Krieg, Mechanisierung und Kapitalismus verrohten Welt als Heilmittel entgegenzusetzen. 1922 erschien Hartlaubs gleichnamiges Buch, in dem er der naiven Schöpferkraft des Kindes programmatischen Anstrich verlieh. Doch Hartlaub wollte auch die wissenschaftliche Forschung zur Entwicklung kindlicher Gestaltung befördern und institutionalisieren. 1927 gründete er das „Internationale Archiv für Jugendzeichnungen“, das in den folgenden Jahren wuchs und insgesamt schließlich ca. 42.000 Blatt umfasste. Das Interesse an der Kinderkunst erwies sich somit als Kennzeichen der Avantgarde, auch der künftigen CoBrA-Vertreter*innen. Für die Künstler*innen, die sich seit 1941 um die dänische Zeitschrift Helhesten versammelten (Ejler Bille, Carl-Henning Pedersen, Henry Heerup, Asger Jorn, Else Alfelt), wurden Kinderzeichnungen zu einer wichtigen und vorbildhaften Inspirationsquelle. Bereits seit 1941 wurden in Helhesten, wie später auch in den CoBrA-Heften, Kinderzeichnungen neben Felszeichnungen, sino-sibirischen Bronzen, Wandmalereien, grönländischen Geisterbeschwörungsmasken und eigenen Werken der Künstler*innen abgebildet.

  

Ausstellungsansichten "Becoming CoBrA", Werke von Karel Appel, Fotos, 2023 © Kunsthalle Mannheim

In den Niederlanden wurde die Beschäftigung mit der Kunst von Kindern wesentlich über Willem Sandberg initiiert. 1946 richtete er ein Kinderatelier im Amsterdamer Stedelijk Museum ein, dem er als Direktor vorstand, zwei Jahre später zeigte er im Dezember 1948 eine Übersichtsausstellung von Kinderkunst und nahm einige der Arbeiten in die Museumssammlung auf. Seit dieser Zeit sollten sich die Holländer Appel, Constant und Corneille intensiv mit Kinderzeichnungen beschäftigen. Appel etwa malte eine ganze Serie zum Motiv der fragenden oder bettelnden Kinder. Die Werke zeigten nicht nur eine kindlich expressive Formensprache, die Kinder selbst wurden zum Bildmotiv. Inhaltlich ging die Thematik auf Appels Erinnerung an die hungernden Kinder zurück, die er während einer Deutschland-Reise in der unmittelbaren Nachkriegszeit gesehen hatte. „Kinder weisen den Weg“: Unter dieses Motto stellten Appel, Constant, Corneille und Anton Rooskens ihren Beitrag zur Ausstellung „Neue Strömungen in der bildenden Kunst“, die 1950 im Stedelijk Museum zu sehen war. Sie machten zur Bedingung, dass ihre Werke jeweils von einer Kinderzeichnung begleitet wurde und betonten damit die Vorbildhaftigkeit der Kinderkunst. Die Auseinandersetzung mit der Kunst von Kindern hatte auch bei den CoBrA-Künstler*innen, ähnlich wie bei Hartlaub, autobiografische Gründe. Jorn, aber auch Brands, später auch Pierre Alechinsky kamen durch ihre eigenen Kinder in Berührung mit der kindlichen Kreativität, sie sammelten deren Arbeiten und es kam nicht zuletzt auch zur Zusammenarbeit einiger Künstler*innen mit den eigenen Kindern, etwa 1949 in Bregnerød. Dort trafen sich die Cobra-Mitglieder in einem Wochenendhaus bei Kopenhagen und bemalten gemeinsam mit ihren Frauen und Kindern die Wände des Hauses. So gestaltete etwa Jorns siebenjähriger Sohn Klaus eine Tür in der Wand, an der Pedersen arbeitete. Aus vielen Zitaten spricht schließlich die Sehnsucht nach der Kindheit. „Es dauert Jahre, bis man das Kind in sich selbst findet“, erklärte Alechinsky. Geschätzt wurden die ungezwungene Ausdrucksfähigkeit, die individuelle Fantasie, die Freiheit und kindliche Freude am Gestalten, der Sinn für Materialien, aber auch für Fundstücke, aus denen Assemblagen gebaut wurden. So stellte Henry Heerup, der Verfechter eines rustikalen Antispezialismus, fest: „Die Kinder haben schon immer Skulpturen aus Resten gemacht… Jeder kann seine eigene Abfallskulptur machen. Fangt an!“

 

Weiterführende Links

Zur Ausstellung "BECOMING CoBrA"

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Informel und Monochromie: ein neu kuratierter Kubus im Neubau

Informel und Monochromie: ein neu kuratierter Kubus im Neubau

10.11.22
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Ab 18. November 2022 steht das Ausstellungsgeschehen in der Kunsthalle ganz unter dem Motto „Becoming CoBrA. Anfänge einer europäischen Kunstbewegung“. Der Name der Künstler*innengruppe, die von 1948 bis 1951 existierte, setzt sich aus den Anfangsbuchstaben der Städte Kopenhagen, Brüssel und Amsterdam zusammen, aus denen die Gründungsmitglieder stammten.

Paris fungierte in den 1940er-Jahren noch als Zentrum der Avantgarde, mit CoBrA kamen weitere Zentren – auch im skandinavischen Raum – hinzu. CoBrA begegnete den Folgen des Krieges mit einer Kunst, die den spontanen, freien Ausdruck zelebrierte und eine kulturelle Erneuerung propagierte. Mit der Ausstellung „Becoming CoBrA“ nimmt die Kunsthalle Mannheim erstmals die bis in die 1930er-Jahre zurückreichenden Ursprünge einer der einflussreichsten internationalen Avantgarde-Gruppen des 20. Jahrhunderts in den Blick.

Bereits jetzt wurde ein Sammlungs-Kubus neu eingerichtet, der einen Einblick in die Kunstszene der 1950er-Jahre gibt, die Zeit, in der auch CoBrA aktiv war. Das Netzwerk der Künstler*innen war einer der frühesten Zusammenschlüsse während und nach dem Krieg. In Deutschland setzte die Entwicklung einer sich frei entwickelnden Kunst nach der Diktatur der Nationalsozialisten mit Verzögerung ein. Doch auch hier suchte man den Austausch mit anderen. Am Anfang standen Künstlervereinigungen wie die 1952 in Frankfurt gegründete Gruppe Quadriga mit Bernard Schultze, K.O. Götz, Otto Greis und Heinz Kreutz oder in Düsseldorf die Gruppe 53 mit Gerhard Hoehme, Peter Brüning und Karl Fred Dahmen. In München hatte sich ein weiterer Schwerpunkt um die Gruppe Zen gebildet, zu der Willi Baumeister, Rolf Cavael, Ernst Wilhelm Nay, Emil Schumacher, Hann Trier, Theodor Werner und Fritz Winter gehörten. Eine der ersten deutschen Museumsausstellungen, die die neue abstrakte Kunst präsentierte, fand 1957/58 unter dem Titel „Eine neue Richtung in der Malerei“ in der Kunsthalle Mannheim statt. Daraus entwickelte sich dann auch ein Sammlungsschwerpunkt, während die Vertreter*innen von CoBrA bis auf ein Werk von Corneille unberücksichtigt blieben.

Als neue avantgardistische Kunst setzten sich, von CoBrA bereits vorbereitet, weltweit abstrakte Tendenzen durch, die eines ihrer Zentren in Paris hatten. Dort fand der Kritiker Michel Tapié 1951 anlässlich einer Ausstellung mit Werken von Wols, Hans Hartung, Georges Mathieu und Jackson Pollock den Begriff Informel, der von da an als Bezeichnung für eine Kunst galt, die sich in Abgrenzung zur geometrischen Abstraktion auf formlose Bildstrukturen berief. Formlosigkeit und Spontaneität prägten diese Kunst, während neben reiner Farbe auch andere bildnerische Materialien wie Gips, Sand oder Zement eingesetzt wurden. In der Überzeugung, dass die formalen Mittel der gegenständlichen Kunst nicht mehr geeignet seien, die Schrecken der Vergangenheit und Fragestellungen der Gegenwart glaubwürdig darzustellen, gaben die Künstler*innen ihre Sicht der Welt in einer gestisch dynamischen, skripturalen oder materialbetonten Ausdrucks- und Zeichensprache wieder. Die Abstraktion wurde im Gegensatz zum Diktat des sozialistischen Realismus als international verbindliche Sprache einer freiheitlich demokratischen Welt verstanden, die in Einklang stand mit den neu gewonnenen Erkenntnissen in Naturwissenschaft und Technik.

Die eruptiven expressiven Farbstürme der Informellen begannen sich jedoch schon Ende der 1950er-Jahre zu erschöpfen. So setzte nicht nur in Deutschland eine künstlerische Entwicklung ein, die mit den Begriffen meditative oder monochrome Malerei bezeichnet wurde und als Abkehr vom Informel zu verstehen war. Im Gegensatz dazu ist diese Kunst durch die formale und koloristische Reduktion auf große Farbfelder sowie Verzicht auf heftigen Pinselduktus zugunsten feiner Nuancierungen und serieller Strukturen gekennzeichnet. In Deutschland wandten sich Rupprecht Geiger, Raimer Jochims, Georg Meistermann und Raimund Girke einer monochromen bzw. farblich reduzierten Malerei zu. Beispiele hierfür finden Sie im neu kuratierten Kubus 0 im Neubau der Kunsthalle.

         

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Das soll Liebe sein!? Hanna Nagels Blick auf das Verhältnis der Geschlechter

Das soll Liebe sein!? Hanna Nagels Blick auf das Verhältnis der Geschlechter

17.06.22
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Hanna Nagel (1907-1975) beschäftigt sich schon sehr früh mit dem Verhältnis der Geschlechter, mit der Beziehung zwischen Mann und Frau in weit gespanntem Blick von der Liebesbeziehung bis zur Auflösung von traditionellen genderspezifischen Rollenmustern. Sie tut dies in den Jahren zwischen 1928 und 1932 intensiv wie kaum eine andere Künstlerin ihrer Zeit und kann so als feministische Pionierin gelten. Für die Rollenspiele nimmt sie jeweils sich selbst und ihren Partner Hans Fischer als Modell, was jedoch häufig zu Missinterpretationen führt: In der Reduktion der Werkinterpretationen auf rein Autobiografisches wird verkannt, worum es ihr tatsächlich geht: Erlebtes und Beobachtetes, aber zudem auch Imaginiertes exemplarisch zu visualisieren und zu Allgemeingültigem zu verdichten, denn die Beziehung zwischen Mann und Frau, die Familie ist Keimzelle sozialen Zusammenlebens und daher von gesellschaftspolitischer Dimension. Hanna Nagels Erkundungen von Paarkonstellationen reichen von Liebe, Sehnsucht nach Harmonie, Gleichberechtigung über Unterdrückung, Demütigung, Abhängigkeit bis hin zu gegenseitiger Gewalt und Todes- und Verlustängsten. Wirtschaftliche Not wird ebenso verhandelt wie die ungleiche Belastung im Hinblick auf Vater- und Mutterschaft sowie die Konkurrenz in der künstlerischen Arbeit. Immer wieder wechselt Hanna Nagel die Perspektive, verkehrt die Rollen, beide Seiten werden zu Opfer oder Täter. Doch als Grundtenor der Kritik erweist sich die Diskrepanz zwischen männlicher Anmaßung einerseits und männlichem Versagen andererseits. Überblickt man die Werke, lässt sich beobachten, dass Hanna Nagel ein Motivrepertoire aus wiederkehrenden Elementen entwickelt, etwa bei der männlichen Kleidung die Uniform als Zeichen von militärischer Macht, das Priestergewand als Symbol kirchlicher Autorität, die Krone als Ausweis politischer Potenz. Das Kind dient als Objekt der Zuneigung und Verkörperung der Zukunft, Geldstücke fungieren als Symbol für Almosen, Reichtum und dessen Gegenteil, Masken als Motiv für Verstellung und Täuschung. Das Rollenspiel bietet ihrem Alter Ego Möglichkeiten der Verkleidung und des Identitätswechsels: Mal erscheint sie in sehr weiblichen Rüschengewändern der Vergangenheit, dann wieder in Arbeitskittel oder knielangem Kleid im Stil der modernen Frau der Zwanzigerjahre. Ihr Haar ist mal burschikos kurz, dann wieder schulterlang. Hans Fischer ist leicht an der Brille und der Glatze zu erkennen, die sein Aussehen brutalisiert. Viele Blätter sind Ausdruck der wachsenden Passivität eines Künstlers bei zunehmender Aktivität der Künstlerin. Dies zeigt sich auch in dem Blatt mit „Mühevolle Ehe“, hier wird die Frage der Arbeitsverteilung aufs Korn genommen, in einer der wenigen Szenen, die sich im öffentlichen Raum abspielen: Während die Frau mühsam einen mit Kunst und Kindern schwer beladenen Karren mit der Aufschrift „Fischer“ zieht, trägt der Mann eher zur Behinderung des Vorankommens bei. Er läutet zwar um Aufmerksamkeit heischend mit der Glocke, doch hat er den Arm lässig auf den Wagen gelehnt. Die düsteren Zukunftsperspektiven eines Künstlerpaars, bei dem die Frau die pragmatische, anpackende Rolle spielt, während der Mann als Schmarotzer oder als vergeistigter Intellektueller erscheint, werden auf eine überpersönliche Ebene gehoben und als unlösbarer Konflikt. Die Frau bleibt auf sich allein gestellt in der Sorge um die Familie und ihre Zukunft. Komplexe Fragen im Zusammenhang mit mütterlicher Unfreiheit und Ungleichgewicht in der familiären Aufgabenverteilung werden angesprochen: die Benachteiligung und Deklassierung als Frau auf dem Kunstmarkt, die Tatsache, dass der Frau die Sorge um die Kinder angelastet wird, sowie die aus dieser Mehrfachbelastung resultierende mangelnde Bewegungsfreiheit und Chance, sich erfolgreich zu entwickeln. Zudem kommt auch die nicht zuletzt für beide Geschlechter relevante Problematik zur Sprache, als Künstler*in in einer ohnehin schwierigen wirtschaftlichen Gesamtlage sein Dasein fristen zu können. Noch heute sind viele der von Hanna Nagel angesprochenen kritisierten Fragen und Probleme ungelöst, das macht ihr Werk einerseits zeitlos, aber auch aktuell.

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Die Sammlung im Fokus

Die Sammlung im Fokus

17.12.21
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Schauen Sie mal wieder im Jugendstil-Gebäude der Kunsthalle vorbei, wir haben die Räume des Obergeschosses neu eingerichtet. Vorgestellt werden nicht nur Meisterwerke unserer Sammlung, es wird auch ein Blick auf die Museumsgeschichte mit besonders wichtigen Ausstellungen und Ereignissen geworfen: Kunstgenuss und Kunstgeschichte gleichermaßen.

Seit 1909 prägt die Kunsthalle als Museum bekanntlich das kulturelle Leben Mannheims. Mit Spitzenwerken von Manet bis Bacon und einem einzigartigem Skulpturenschwerpunkt zählt sie zu den renommiertesten bürgerschaftlichen Sammlungen der deutschen Museumsszene. Von der Gründung an wurden programmatische Ausstellungsprojekte realisiert, die nicht nur auf die Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts wirkten, sondern auch Schwerpunkte in der Sammlung bildeten und den jeweilig aktuellen Kunstdiskurs widerspiegelten und Diskussionen in der Fachwelt wie beim Publikum anregten. Prominentes Beispiel hierfür ist die von Gustav Friedrich Hartlaub kuratierte Ausstellung ‚Die Neue Sachlichkeit‘ (1925), mit der die dem Realismus verpflichtete Kunst der 1920er-Jahre ihren stilbildenden Namen erhielt. Fritz Wichert und Hartlaub, die beiden ersten Direktoren der Kunsthalle, setzten sich zudem auch intensiv mit der Bewegung des Expressionismus auseinander. Beide widmeten dieser in den 1910er-Jahren dominierenden Kunstrichtung zahlreiche Ausstellungen und kauften bedeutende expressionistische Werke für das Museum an. Vor allem Hartlaub beobachtete aber auch die fast gleichzeitig mit dem Expressionismus einsetzenden Entwicklungen hin zu einer abstrakten bis gegenstandslosen Kunst mit großem Interesse. In der Ausstellung „Wege und Richtungen der abstrakten Malerei in Europa“ zog er gegen Ende der 1920er-Jahre eine Art Zwischenbilanz dieser Strömung.

Die Zeit des Nationalsozialismus setzte in der Museumsgeschichte eine deutliche Zäsur. Rund 100 deutsche Kunstmuseen waren im Sommer 1937 Schauplatz einer maßlosen „Säuberungsaktion“: Möglichst alles, was dem nationalsozialistischen Kunstverständnis widersprach, sollte aus öffentlichen Sammlungen entfernt werden. Auch die Kunsthalle war unter den betroffenen Institutionen. In zwei Aktionen wurden aus ihren Beständen annähernd 600 Werke zeitgenössischer Künstler*innen als „entartet“ beschlagnahmt. Die seit den 1910er-Jahren aufgebaute Mannheimer Moderne-Sammlung wurde so brutal zerschlagen. Auch dies ist Thema in unserem neuen Sammlungsrundgang, ergänzt um Erkenntnisse über die Herkunft einzelner Gemälde und Skulpturen. In den sog. Provenienzboxen finden sich Ergebnisse der Provenienzforschung an der Kunsthalle. Innerhalb dieses Projektes wurde die Sammlung des Museums systematisch nach NS-Raubkunst durchsucht.  

Der Neuanfang der Museumsarbeit nach Ende des Zweiten Weltkriegs unter Walter Passarge und dann unter Heinz Fuchs stand unter den Aspekten der Schließung der durch die Nationalsozialisten verursachten Sammlungslücken, aber auch des Ausbaus des Skulpturenschwerpunktes und der Ausweitung in eine internationale Perspektive. Die die 1950er-Jahre beherrschende abstrakte, ‚informelle‘ Malerei Deutschlands fand bereits 1957 ihren Eingang in die Kunsthalle, wenig später widmete man sich dem Thema auch im Hinblick auf eine europäische Perspektive. Zu den bedeutenden Einzelschauen des Museums zählt die Ausstellung von Werken des Engländers Francis Bacon, der 1962 in der Kunsthalle auf dem Kontinent Premiere feierte. So anerkannt Bacon heute ist, so umstritten war damals seine Kunst. Sein Gemälde ‚Papst II‘ zählt heute zu den Highlights der Museumssammlung, wir zeigen es im Dialog mit einem weiteren Meisterwerk, der Skulptur „Der Platz“ von Alberto Giacometti. Ein weiterer Schwerpunkt ist schließlich den Arbeiten der ‚Nouveaux Rèalistes‘ gewidmet, eine in den 1960ern von Paris ausgehende Bewegung, die sich den Materialien des Alltags öffnete. Hier lassen sich etwa Arbeiten von Niki de Saint Phalle und Daniel Spoerri entdecken.

Ein Zeitstrahl im Umgang der schönen Kuppelhalle fasst die wichtigsten Ereignisse zum Einstieg oder zur Vertiefung zusammen. Und wenn Sie mehr dazu lesen und schauen wollen, sei Ihnen der Band „Meisterwerke“ empfohlen, den Sie im Museumsshop erwerben können, im Übrigen auch ein schönes Weihnachtsgeschenk!

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James Ensor und die deutschen Künstler

James Ensor und die deutschen Künstler

27.08.21
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Unter den deutschen Künstlern der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts fanden sich einige, die den belgischen Kollegen James Ensor sehr schätzten. Neben Erich Heckel sind vor allem George Grosz, Paul Klee, Emil Nolde und Felix Nussbaum zu nennen.

Emil Nolde (1867-1956) war einer der ersten deutschen Künstler, der während einer Belgien-Reise im Januar 1911 Ensor in Ostende persönlich besuchte. In seiner autobiografischen Schrift Jahre der Kämpfe schilderte er die Begegnung: „Im städtischen Museum (von Brüssel) suchten wir nach Radierungen von Ensor, in einem großen grauen Raum. Wir fanden keine. Er galt damals noch nichts in seinem Land. Es fügte sich, dass wir einige Tage danach ihn selbst trafen, den feinen phantastischen Künstler, wir saßen uns gegenüber, die Augen sich verstehend, nur sprechen konnten wir Maler miteinander nicht.“ Wie Ensor interessierte sich Nolde für exotische Artefakte und Masken, studierte und zeichnete sie im Völkerkunde-Museum Berlin und begann sie auch zu sammeln. Seit 1911 stellte er auch Masken mehrfach in seinen Bildern dar. Es liegt nahe zu vermuten, dass ihm der Besuch bei Ensor einen wesentlichen Impuls dazu gab. Während bei Ensor die Masken jedoch sowohl seiner Phantasie entsprangen als auch dem Kontext des Karnevals zugehörten, handelte es sich bei Nolde häufig um Masken außereuropäischer Herkunft.  

Ein anderer Künstler, der sich schon 1913 mit Ensor auseinandersetzte, war George Grosz (1893-1959). 1917 ließ Grosz Ensors Masken vor dem Tod (1888) in der Februar/März-Nummer der von ihm und John Heartfield herausgegebenen Zeitschrift Neue Jugend abbilden. Ensor erscheint damit in einem Kontext, der Dadaismus, die Revolte des Frühexpressionismus, politische pazifistische Anliegen und zeitgenössische Lyrik miteinander verband. Grosz verstand sich selbst als Herold der Kunst Ensors, von einer persönlichen Begegnung der beiden ist jedoch nichts bekannt.

Im Ersten Weltkrieg bildete sich um den Kunsthistoriker Walter Kaesbach (1879-1961) in Flandern eine Kolonie von deutschen Künstlern, für die Ensor zu einer wichtigen Figur werden sollte – weniger im Hinblick auf direkte künstlerische Adaptionen, umso mehr jedoch als Impulsgeber und Gesprächspartner. Nicht zu unterschätzen ist der Aspekt, dass dieser Kreis in Deutschland zu Multiplikatoren im Hinblick auf Ensors Kunst wurde. Wie sehr Ensor von den Begegnungen profitierte, ist leider durch schriftliche Dokumente nicht belegt, jedoch gibt es in Werk und Leben der deutschen Künstler diverse Zeugnisse. Kaesbach war 1914 als leitender Zugführer einer Sanitätseinheit in Belgien zum Einsatz gekommen, zunächst in Roeselaere, dann in Ostende. Er nutzte seinen Einfluss beim Roten Kreuz, um mit ihm befreundete Künstler vor dem Einsatz an der Front zu bewahren und stattdessen Verwundete in die Kriegslazarette in Brügge, Gent und Brüssel zu transportieren. Zu dem engen Kreis um Kaesbach zählten Erich Heckel, Anton Kerschbaumer, Max Kaus und Otto Herbig. Inmitten des Kriegsgeschehens entstand ein „künstlerisches und kameradschaftliches Miteinander“, so Kaesbach im Rückblick. Man fand Zeit zum Arbeiten und so oft es möglich war, studierte man die Kunstschätze in Brügge, Gent und Brüssel. Zu Ensor als dem wichtigsten Vertreter der belgischen Kunst entstanden bald enge Kontakte. Man traf sich, diskutierte, tauschte und kaufte Werke, es entstanden Freundschaften.

Besonders Erich Heckels (1883-1970) Beziehung zu Ensor war komplex: Er war Sammler, Förderer und Bewunderer zugleich, wenngleich sein Werk weder formal noch inhaltlich Spuren Ensors zeigt. In seinem Nachlass finden sich Radierungen mit freundschaftlichen Widmungen Ensors. Heckel bemühte sich außerdem darum, Ensors Werke an deutsche Sammlerinnen und Sammler zu vermitteln oder ihm Aufträge zu verschaffen. Jahre später, 1924, unternahm Heckel eine Belgien-Reise und stattete auch Ensor wieder einen Besuch ab. Anschließend porträtierte er ihn aus der Erinnerung. Das im Zweiten Weltkrieg zerstörte Gemälde zeigte Ensor in Bild füllender Halbfigur als würdevollen Herrn in einer Straßenflucht Ostendes, rechts ein Schaufenster mit seinen Werken. Bereits 1930 wiederholte Heckel das Motiv in vergleichbarem realistischem Stil, wobei die Figur nun weniger Raum einnahm und Ensors selbstbewusste Haltung einem eher fragenden Ausdruck Platz machte. Dieses Gemälde gelangte 1948 in die Sammlung Haubrich in Köln (Abb.). Beide Gemälde zeugen von Heckels Bewunderung für den belgischen Meister, sie sind repräsentatives Porträt und freundschaftliche Hommage gleichermaßen.

Auch Max Beckmann (1884-1950) gehörte eine Zeitlang zu der Sanitätertruppe um Kaesbach, er schloss sich dem Kreis aber offenbar nicht an. Im März 1915 muss es eine Begegnung zwischen Beckmann und Ensor gegeben haben, von der jedoch keine Einzelheiten überliefert sind. Verwandt sind beide Künstler im Interesse daran, die Welt als Bühne zu betrachten, auf der die Menschen mit und ohne Maskierung ihre Rolle spielen. Bereits 1928 hatte der jüdische Maler Felix Nussbaum (1904-1944) während eines Belgien-Aufenthaltes Ostende kennengelernt und war vermutlich schon damals auf Ensor aufmerksam geworden. Auf der Flucht vor den Nationalsozialisten suchte er mit seiner Frau 1935 Zuflucht in Belgien, wo beide im Februar mit einem Touristenvisum zunächst in Ostende ankamen. In einem Brief an den Künstlerkollegen Ludwig Meidner aus dem Jahr 1937 berichtete Nussbaum über den Karneval, in den sie sich gleich nach Ankunft stürzten: „Der Marktplatz war geschmückt, ein großer Laufsteg unter Scheinwerferlicht. – Die Jury saß irgendwo in der Mitte. – Einzeln unter Musikbegleitung mußten die Masken davor ‚Halt‘ machen um begutachtet zu werden. Wie ich so da stand sah ich in der Jury einen alten Herrn mit weißem Gesicht und weißem Bart, – der machte sich eine Notiz als er mich sah. – Das war James Ensor: – Ich erhielt einen Preis – und Felka und ich tranken dann unsere alltäglichen Sorgen herunter.“ Dass sich die beiden Maler dann auch intensiver austauschten und schätzten, davon zeugt ein für Nussbaum wichtiges Dokument: Am 25.8.1935 stellte ihm Ensor ein wohlwollendes Zeugnis über seine Malerei aus, um seine Aufenthaltsgenehmigung zu erwirken. Gemeinsam war beiden Malern die Auseinandersetzung mit dem Motiv der Maske. Bereits in den 1920er-Jahren hatte Nussbaum Masken als Metapher genutzt, um den Aspekt der Doppelgesichtigkeit der Wirklichkeit, die Gespaltenheit seines Ichs zu visualisieren. Im Exil gewann die Maskenmetaphorik weitere Facetten hinzu. Stehen in Ensors Bildern die Masken für die Nichtigkeit des Seins, für Entfremdung und die Absurdität der Welt, wurden die Masken für den vor der nationalsozialistischen Verfolgung nach Belgien geflohenen Nussbaum vor allem zum Symbol für die nun überlebenswichtigen Strategien des Verbergens und Verstellens.

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Wer war Felix Hartlaub?

Wer war Felix Hartlaub?

07.07.21
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Felix Hartlaub (1913-1945) war der Sohn des Direktors der Kunsthalle Mannheim Gustav Friedrich Hartlaub (1884-1963). Während der Vater mit seinem avantgardistischem Programm Kunstgeschichte schrieb, träumte, zeichnete und schrieb sich der frühbegabte Sohn Felix – angeregt durch die Ausstellungen in der Kunsthalle – in phantastische Welten, bevölkert von Monstern und Ungeheuern, geprägt von Sehnsüchten, Ängsten und Weltuntergangsvisionen. Gefördert, aber auch gefordert von den Eltern schuf er Zeichnungen von beeindruckender Kraft und Reife. Der Vater wiederum ließ sich vom Talent des Sohnes begeistern und begann in den 1920er-Jahren eine intensive Auseinandersetzung mit der künstlerischen Begabung von Kindern und Jugendlichen, die in der Ausstellung und Publikation „Der Genius im Kinde“ und in der Gründung des „Internationalen Archivs für Jugendzeichnungen“ in der Kunsthalle Mannheim gipfelte. Das Werk des jungen Zeichners lässt sich eng mit der Geschichte der Kunsthalle Mannheim verknüpfen. Vom Vater organisierte Ausstellungen wie „Fastnacht in der Kunst“, die Einzelschauen zu James Ensor, Alfred Kubin und Edvard Munch wirkten nachhaltig auf den Sohn. Das Interesse an Ensor mag sich durch die Belgien-Reise, die Vater und Sohn 1927 unternahmen, noch verstärkt haben, auch wenn sich ein Besuch bei dem geschätzten Künstler nicht nachweisen lässt. In den Zeichnungen von Felix Hartlaub jedoch schlug sich das Werk Ensors nieder: Seine Neigung zu verzerrten, grotesken, maskenhaften Gesichtern und Fratzen ist neben dem Einfluss von Alfred Kubin sicherlich auf das Vorbild Ensors zurück zu führen. Das Werk Ensors ist übrigens momentan in einer großen Ausstellung in der Kunsthalle Mannheim zu entdecken (bis 3.10.).

Das Leben Felix Hartlaubs nahm einen ungewöhnlichen Verlauf, sein Ende bleibt im Dunkeln. Nach dem Studium und einer Promotion zu einem historischen Thema gehörte Hartlaub von Mai 1942 bis März 1945 dem Bearbeiterstab des Kriegstagebuchs beim Oberkommando der Wehrmacht an und hatte während dieser Zeit Zutritt zum äußeren Sperrkreis in den Führerhauptquartieren, wo er Kenntnis über Interna der Kriegsführung erhielt. Im April 1945 wurde er zu einer Infanterie-Einheit an die Front bei Berlin abkommandiert, kam dort jedoch nie an und galt seitdem als vermisst. Seine offizielle Todeserklärung erfolgte 1955. Seine Aufzeichnungen – literarische Entwürfe, Fragmente, Beobachtungen des Lebens im faschistischen Italien, in der deutschen Reichshauptstadt und im besetzten Paris – , die von ihm vermutlich als Skizzen für später auszuarbeitende erzählerische Werke gedacht waren, wurden 1955 in unvollständiger und bearbeiteter Form von seiner Schwester Geno Hartlaub herausgegeben.

Matthias Weichelt, Chefredakteur der Literaturzeitschrift „Sinn und Form“ hat die Biografie Felix Hartlaubs  in seinem 2020 bei Suhrkamp erschienenen Buch „Der verschwundene Zeuge – Das kurze Leben des Felix Hartlaub“ lebendig und in all seiner Ambivalenz und Zerrissenheit in äußerst lesenswerter Form nachgezeichnet. Am Dienstag, 13. Juli 2021, 19 Uhr, spricht der Autor im Heidelberger Kunstverein, Hauptstraße 97, mit Hanne Knickmann vom Freundeskreis Literaturhaus Heidelberg  und Melanie Hartlaub, der Nichte Hartlaubs, über sein Buch und das Leben des „verschwundenen Zeugen“.

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Fülle, Zufall, Neugier – das Schaudepot der Kunsthalle

Fülle, Zufall, Neugier – das Schaudepot der Kunsthalle

14.05.21
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Mit der Eröffnung des Neubaus der Kunsthalle Mannheim im Jahr 2018 wurde neben den Sammlungs- und Ausstellungsräumen auch ein Raum eingerichtet, der nicht den üblichen Präsentationsformen folgt: das Schaudepot. Einer Wunderkammer gleich erzählt der Raum von den Kernaufgaben, die die Gesellschaft den Museen übertragen hat: sammeln und bewahren, ordnen und zeigen. Bekanntlich kann immer nur der kleinste Teil des Kunstbestandes in den Sammlungsräumen präsentiert werden und immerhin umfasst die Sammlung der Kunsthalle Mannheim rund 2.300 Gemälde, 860 Skulpturen und Installationen, 34.000 Grafiken und 800 Objekte der angewandten Kunst.

Im Gegenzug zu den nach Themen kuratierten Räumen des Alt- und Neubaus füllt sich das Schaudepot der Kunsthalle also als „Stauraum“ nach anderen Ordnungsmustern. Hier geht es darum, auf kleinster Fläche möglichst viele Werke für Besichtigung und Erforschung zugänglich zu machen – ohne Rücksicht auf Bedeutung, Epoche, Stil und Thema. Berühmte Namen erscheinen neben längst vergessenen oder gänzlich unbekannten, internationale Namen neben denen aus der Region. An den Wänden hängen die Gemälde auf Metallgittern, in der Raummitte ragt das sogenannte Schwerlastregal in die Höhe und beherbergt in verschiedenen Fächern unterschiedlichste Skulpturen, etwa eine Versammlung von Porträtköpfen. So werden hier Werke zu Nachbarn, die in einem Ausstellungsraum vermutlich nie miteinander konfrontiert worden wären. Dadurch ergeben sich irritierende, aber auch bisweilen sehr fruchtbare Bezüge und Dialoge, die vom Zufall geprägt sind. Das Bestreben der BesucherInnen, Sinn- oder Formzusammenhänge herzustellen, wird hier ad absurdum geführt oder regt viel mehr zu vergleichendem Sehen an.

Deutlich wird auch, wie vielfältig und heterogen letztlich eine Museumssammlung ist, geprägt über Jahrzehnte von unterschiedlichen Interessen und Akzentsetzungen, aber auch finanziellen Möglichkeiten. Auch Schenkungen und Dauerleihgaben – etwa des Förderkreises –  sind darunter. Und wir sehen auch Werke, die konservatorisch in keinem guten Zustand sind, die Paten suchen, welche uns helfen, eine Restaurierung zu ermöglichen. Denn auch das ist eine wichtige Museumsaufgabe: Das uns anvertraute Museums- und Kulturgut für künftige Generationen zu erhalten und zu pflegen – eine Aufgabe, die leider oft in den Hintergrund tritt.

Die Reaktion unserer Museumsgäste auf das Schaudepot ist sehr unterschiedlich: Viele sind begeistert und fühlen sich inspiriert, andere fühlen sich von der Dichte ästhetisch überfordert.  Schauen Sie selbst, sobald wir wieder geöffnet haben, und lassen Sie sich auf den Raum ein, Entdeckungen sind garantiert!

Übrigens: Eine Reise wert ist der Besuch des 2020 eröffneten Depots des Museums Boijmans Van Beuningen in Rotterdam. Hier findet sich in aufregender Architektur das erste riesige Schaudepot der Welt, das Zugang zur kompletten Sammlung eines Museums mit ca. 151.000 Kunstwerken bietet.

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Rollenspiel und Maskerade

Rollenspiel und Maskerade

11.02.21
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Fastnacht steht vor der Tür und wir können es nicht feiern. Die Corona-Pandemie macht unseren Wünschen nach Ausgelassenheit, Verkleidung, Maskierung und temporärem „Über-die-Stränge-Schlagen“ einen Strich durch die Rechnung. Das Interesse an den Aspekten der sogenannten fünften Jahreszeit war auch bei Künstlern von jeher von großer Bedeutung. Der zweite Direktor der Kunsthalle Mannheim Gustav Friedrich Hartlaub widmete dem Thema „Fastnacht in der Kunst“ 1926 gar eine eigene Ausstellung. Und er war Mitglied der Jury für die schönsten Masken, ein Preis, der in den 1920ern jährlich verliehen wurde. So wundert es auch nicht, dass er ein 1925 entstandenes Gemälde von Max Beckmann ankaufte, das den Titel „Fastnacht“ oder „Pierrette und Clown“ trägt und in dem es um Verkleidung und Rollenspiel geht.

Max Beckmann (1884-1950) gilt als eine der bedeutendsten Künstlerpersönlichkeiten des 20. Jahrhunderts. Bereits in den 1920er-Jahren erwarb die Kunsthalle Mannheim mehrere Hauptwerke des Künstlers, darunter „Fastnacht“ und widmete ihm 1928 eine große Einzelausstellung. Heute befinden sich vier Gemälde und 36 Papierarbeiten des Künstlers im Besitz der Kunsthalle. Das Bild „Fastnacht“ hat im Übrigen auch eine besondere Geschichte. Es wurde 1937 von den Nationalsozialisten in der Kunsthalle beschlagnahmt und kam 1950 als Schenkung von Günther Franke wieder nach Mannheim zurück: eine der seltenen Beispiele für die Rückkehr verlorener Kunstwerke in unserer Museumsgeschichte.

Wer verbirgt sich hinter den beiden dargestellten Figuren? In der rechten Bildhälfte ist Beckmanns zweite Frau Mathilde Kaulbach, vom Künstler liebevoll »Quappi« genannt und hundertfach gemalt, als attraktive Tänzerin dargestellt. Sie sitzt selbstsicher mit übergeschlagenen Beinen und betrachtet aufmerksam etwas, das unseren Blicken verborgen bleibt. Das Alter Ego des Künstlers, der sich auch in anderen Porträts immer wieder in einen Clown und Narr verwandelt, zeigt sich hinter ihr in akrobatischer Verrenkung. Sein Gesicht ist durch ein Tuch verhüllt, er gibt sich nicht zu erkennen. Seine Position ist bedrängt und ohne Bewegungsfreiheit, er hat im wahrsten Sinn des Wortes den Boden unter den Füßen verloren. Der Künstler hatte Mathilde Kaulbach im September 1925 geheiratet. Im selben Jahr erscheint sie in „Fastnacht“ erstmals in einem seiner Bilder und wird zum Bestandteil seines Welttheaters, das vielfach mit Verkleidungen, sozialen Rollen und religiösen oder mythologischen Symbolen spielt. Beckmanns Gemälde zeigt zwei Arten, der Welt zu begegnen: Während sich der Clown verschließt und nur durch einen schmalen Spalt seine Umgebung betrachten kann, setzt sich die attraktive Pierrette, eine Figur der italienischen Commedia dell‘ arte, der Welt und dem betrachtenden Gegenüber selbstbewusst aus. Letztlich vereint das Gemälde drei Motive, die Max Beckmanns Gesamtwerk durchziehen: das Selbstporträt, das Paarbildnis und die Fastnachtsdarstellung. Beckmanns Hauptthema war der Mensch in seiner existenziellen Ohnmacht und Hilflosigkeit. Motive aus Zirkus, Theater und Karneval tauchen in seinem Œuvre immer wieder als Metaphern für das Leben als großes Bühnengeschehen auf. Gleichzeitig hat er in zahlreichen Paarbildnissen das emotionale und sexuelle Verhältnis zwischen den Geschlechtern thematisiert.  „Wir sind alle Seiltänzer. Bei ihm ist’s wie in der Kunst, so auch bei allen Menschen der Wille, das Gleichgewicht zu erreichen und zu erhalten“,  schrieb er 1948.

Ein anderer Künstler, der sich immer wieder mit Karnevalsmotiven auseinandersetzte, war der Belgier James Ensor (1860-1949). Geprägt und inspiriert durch das exzessive Karnevalstreiben in seiner Heimatstadt Ostende und durch den elterlichen Souvenirladen, in dem Karnevalsmasken verkauft wurden, avancierte er zum „Maler der Masken“. Er verstand es wie kein zweiter, das Thema der Maske als Motiv der Verhüllung, Verfremdung und Demaskierung mit dem Thema des Todes zu verbinden: Die Welt als Bühne, auf der wir Masken tragend Kämpfe ausfechten, Fantasien ausleben, immer im Angesicht der eigenen Vergänglichkeit. Ab dem 11.6.21 widmen wir dem belgischen Künstler eine große Ausstellung.

Max Beckmann und James Ensor sind sich im Übrigen 1915 persönlich begegnet. Als der junge deutsche Künstler sich während seines Einsatzes als Sanitäter im Ersten Weltkrieg in Flandern aufhielt, hat er den damals schon arrivierten Kollegen in Ostende besucht. Leider ist nicht überliefert, worüber die beiden sich ausgetauscht haben. Gern hätte man dem Gespräch gelauscht.

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Zum Auftakt ein Skandal: Die Sammlung französischer Malerei in der Kunsthalle Mannheim

Zum Auftakt ein Skandal: Die Sammlung französischer Malerei in der Kunsthalle Mannheim

14.08.20
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Gleich mit einem seiner ersten Ankäufe, dem Gemälde „Die Erschießung Kaiser Maximilians von Mexiko“, 1868/69,  von Edouard Manet, gelang Gründungsdirektor Fritz Wichert im Jahr 1910 ein Coup, der größte Aufmerksamkeit erlangte, aber auch enormen Widerstand hervorrief. Mit dieser Erwerbung positionierte sich Wichert in einer Reihe mit anderen Direktoren großer deutscher Museen im Kampf um die Moderne. Mannheim sah sich plötzlich im Zentrum der deutschlandweiten Diskussion um die französische Malerei – eine Debatte, die nicht nur kunsthistorisch, sondern auch politisch geprägt war.

Doch schon das Bild selbst sorgte zu Lebzeiten Manets für einen Skandal, denn der Künstler brachte das Scheitern der französischen Außenpolitik in Mittelamerika zum Ausdruck, in dem er den Kaiser als deren Opfer darstellte. Kurz nach dem politischen Desaster begann Manet 1867 die Auseinandersetzung mit dem Thema, das er in drei Gemäldefassungen verarbeitete. Die Mannheimer Fassung des Gemäldes ist die dritte und letzte und erhielt zu Manets Lebzeiten Ausstellungsverbot.

Fritz Wichert hatte in seinem Sammelkonzept, das er 1910 vorlegte, den Hauptakzent auf die klassische französische Malerei des 19. Jahrhunderts gelegt, die er für vorbildhaft hielt. Der gleich nach seinem Amtsantritt in die Wege geleitete Ankauf von Manets Gemälde war die adäquate Umsetzung dieses Anspruchs. Es erstaunt noch heute, wie schnell und unter welchen Umständen sich diese Erwerbung realisieren ließ, denn die veranschlagten 90.000 Mark waren von neun Mannheimer Bürgerinnen und Bürgern aufgebracht worden. Begleitet wurde der Vorgang sehr geschickt durch Wicherts Pressearbeit, die darauf zielte, den Ankauf auch überregional als herausragendes Ereignis darzustellen. Stolz hatte er bereits im Januar 1910 in einem Zeitungsbericht in die Zukunft geblickt: „Es wird sich erweisen, daß dieses Bild unserer Galerie zu dauerndem Ruhm gereicht. Wer die süddeutschen Museen bereist, darf an der Stadt der ›Erschießung‹ Manets nicht achtlos vorübergehen. Sie wird allein dafür sorgen, daß Mannheim unter den nennenswerten Galeriestädten einen Rang von Bedeutung einnimmt …; dies ist nicht vorübergehend, sondern für alle Zeit.“

Doch es bleibt nicht bei der Erwerbung dieses Gemäldes. Wichert setzte sein Konzept zielstrebig um: Nachdem bereits 1909 Daumiers Gemälde „Die Kupferstichliebhaber“ angekauft worden war, folgten zwischen 1910 und 1916 Werke von Delacroix, Courbet, Monet, Van Gogh, Pissarro, Corot, Cézannes und Sisley, die Wichert im sogenannten „Franzosensaal“ präsentierte.

Auch im Bereich der Skulptur wies Wichert den Franzosen Vorbildfunktion zu und war bestrebt, dem Bestand einen französischen Akzent zu verleihen. Er erwarb zwei Werke von Maillol, scheiterte jedoch zunächst trotz intensiver Bemühungen bei seinem Versuch, ein Werk des bedeutenden französischen Bildhauers Auguste Rodin zu erwerben. Erst seinen Nachfolgern gelang die Erwerbung von Skulpturen Rodins, Degas‘ und Daumiers.

Zu Wicherts Zeit griffen nationalistische Kreise immer wieder die an französischer Malerei orientierte Ankaufspolitik der deutschen Museen an. Doch vernachlässigte Wichert die deutsche Kunst keineswegs, sie sollte schließlich im Vergleich zur französischen den größeren Umfang in der Sammlung haben. Es gelangen ihm bedeutende, von seinen Nachfolgern ergänzte Erwerbungen von u.a. Anselm Feuerbach, Lovis Corinth, Max Liebermann, Max Slevogt und Hans Thoma, die er im sogenannten „Deutschen Meistersaal“ präsentierte.

In Mannheim personifizierte sich der Widerstand in Gestalt des Rechtsanwalts und Stadtrats Theodor Alt, der 1911 seine Ansichten in einem mehr als 500 Seiten starken Buch mit dem Titel „Die Herabwertung der deutschen Kunst durch die Parteigänger des Impressionismus“ darlegte. Doch schon im Jahr zuvor hatte man in Bremen gegen die avantgardistische Ankaufspolitik des dortigen Kunsthallen-Direktors Gustav Pauli opponiert, ausgelöst durch dessen Ankauf von Vincent van Goghs Gemälde „Mohnfeld“. Wortführer war der Maler Carl Vinnen mit seiner Broschüre „Ein Protest deutscher Künstler“, den 140 Künstler und Kunstschriftsteller unterstützten. Ihr Leitmotiv war die „Überfremdung“ der Museen durch die Franzosen und die Benachteiligung der deutschen Künstler als Ausdruck einer falschen Museumspolitik. Die wichtigsten Punkte des Protests bezogen sich auf nationalistische, künstlerische sowie finanzielle Aspekte. Bereits im Juli 1911 erschien die Gegenschrift „Im Kampf um die Kunst“, in der 47 Künstler – darunter Max Beckmann, Lovis Corinth, Wassily Kandinsky, Max Liebermann, August Macke, Franz Marc und Max Slevogt – sowie 28 Galeristen und Kunstkritiker auf Vinnens Polemik antworteten.

Sehr schnell wurde klar, dass der Vorwurf der Bevorzugung der französischen Kunst rein statistisch nicht haltbar war. Vinnens und Alts nationalistische Töne kehrten jedoch in vielen Kunstdebatten der Weimarer Zeit wieder, um schließlich in die nationalsozialistische Kunstpropaganda zu münden.

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Sehnsuchtsorte in der Kunst: Eugen Knaus „Wiesenlandschaft“

Sehnsuchtsorte in der Kunst: Eugen Knaus „Wiesenlandschaft“

30.04.20
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Die „Wiesenlandschaft“ von Eugen Knaus ist auf den ersten Blick sicher kein typischer Sehnsuchtsort. Üblicherweise sind dies exotische, südliche Landschaften mit attraktiver mediterraner Kulisse, mit kulturhistorisch bedeutsamer Architektur. Oder einsame, weite Landschaften, in denen der gestresste Mensch Ruhe und Erholung findet. Das menschliche Auge schweift gern in die Ferne, sucht den Überblick. Beispielhaft hierfür sind die seit dem Mittelalter entstehenden sogenannten Weltlandschaften, die Darstellung einer von sehr hohem Betrachterstandpunkt gesehenen Landschaft, oft mit religiöser Staffage.

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