Doch auch den Blick ins Detail gab es schon in früher Zeit, etwa im berühmten, 1503 entstandenen „Rasenstück“ von Albrecht Dürer. Es zeigt ein kleines Stück Wiese mit verschiedenen Gräsern und Kräutern und ist sehr wahrscheinlich als Studie nicht vor der Natur, sondern im Atelier entstanden. Auf dieses Vorbild greift der Mannheimer Maler Eugen Knaus (1900-1976) zurück. Er zeigt in detailgenauer, scharfer malerischer, neusachlicher Präzision den Ausschnitt einer Wiese mit Gräsern und Wiesenblumen, die botanisch genau wiedergegeben sind. Der Blickpunkt ist tief angesetzt, als habe der Maler auf dem Boden gelegen. So verstellt der Blick auf das Nahe die Ferne, der Horizont ist nur als schmaler Streifen angedeutet. Knaus malt dieses Bild im Jahr 1933, im Jahr der Machtergreifung der Nationalsozialisten, in einer Zeit der drastischen Veränderung der politischen Situation in Deutschland. So mag das Gemälde interpretiert werden als Rückzug aus der Welt ins Intime, es symbolisiert die Sehnsucht nach einer heilen, überschaubaren Welt und feiert die Vielfalt der Schöpfung.
Auch gerade in Zeiten der Corona-Krise kann dieses Bild wieder besonders zu uns sprechen. Wir können derzeit nicht in die Ferne schweifen, müssen uns – jedenfalls im realen Leben – auf engen Bewegungs- und Erlebnisraum beschränken. Doch diese Beschränkung bietet auch Abenteuer und Überraschung und Möglichkeiten der alternativen Betätigung. Denn wer jetzt einen Garten hat, kann die Gelegenheit nutzen, sich intensiv mit der Natur zu beschäftigen. Man kann derzeit geradezu den Pflanzen beim Wachsen zusehen, kann sie studieren, hegen und pflegen. So wird die eng umrissene Naturfläche des Gartens wie des Bildes zu einem Ersatz-Sehnsuchtsort.
Interessant am Bild von Knaus ist noch ein anderer Aspekt, denn das Gemälde birgt ein Geheimnis, das erst kürzlich gelöst wurde. Bei der Restaurierung des Werkes fiel der Restauratorin eine merkwürdige farblich und formal abgesetzte Fläche im mittleren Bildbereich auf, die sie sich zunächst nicht erklären konnte. Im Gespräch mit der Sammlungsleiterin, der Verfasserin, äußerte diese die Vermutung, dies sei die Spur eines vom Künstler übermalten Motivs. Und in der Tat, die Untersuchung unter UV-Licht zeigte - um 180 Grad gedreht - die Darstellung einer Figur, die der Künstler übermalt hat.