Zwischen Split Decision(s) und Lichtblicken: James Turrells Lichtinstallation in der Mannheimer Kunsthalle. Ein weihnachtlicher Impuls im Jahr 2020?
Als Lichtpassage mit wechselnden Farbsequenzen markiert die eigens für die Mannheimer Kunsthalle konzipierte Installation "Split Decision" des amerikanischen Künstlers James Turrell (*1943) den Übergang zwischen der zeitgenössischen Museumsarchitektur und dem Jugendstilbau. Der vieldeutige Titel (Geteilte Entscheidung) verweist einerseits auf die Gegenüberstellung zweier Licht- und Farbquellen und gibt andererseits den Anstoß für eine philosophische Lesart, die wesentlich mehr mit dem Lichtfest Weihnachten –insbesondere in Zeiten der weltweiten Corona-Pandemie – zu tun hat als im ersten Moment vielleicht gedacht.
SPLIT DECISION: FARBE – LICHT – RAUM
In seinen Lichtinstallationen und -architekturen nimmt Turrell die spezifischen Gegebenheiten eines Ortes zum Anlass, Licht- und Farbsequenzen zu einem immersiven Raumerlebnis zu verdichten. Das Licht wird zur Materie. Es dehnt sich im Raum aus und lässt die Grenzen unserer gewohnten Wahrnehmung verschwimmen. Turrell entlässt Licht und Farbe in den Raum, sodass sie nicht mehr – wie beispielsweise in der abstrakten Malerei – an einen Bildträger (z. B. eine Leinwand) gebunden sind. Das Licht ist hierbei keine bloße Helligkeitsquelle mehr, sondern wird zur Hauptakteurin seiner Arbeit. Dass sich unser Auge an keinen bekannten Objekten oder Strukturen orientieren kann und durch das abstrahierte Licht auf sich selbst zurückgeworfen wird, verbindet Turrell auch mit Künstler*innen des französischen Impressionismus wie Paul Cézanne. Dieser erkannte in der Farbe einen Ort, an dem „das Bewusstsein und das Universum zusammentreffen.“ (zitiert und übersetzt nach: Gasquet, Joachim: Cézanne, Paris 1926) In den Arbeiten Turrells ist es das Licht, das einen solchen Reflexionsraum eröffnet: „Auf eine gewisse Art und Weise verbindet das Licht die spirituelle Welt mit der ephemeren, physischen Welt.“ (James Turrell; zitiert nach: Homepage des Guggenheim Museum 2019/Museum Frieder Burda 2018)
DIE SPIRITUELLE BEDEUTUNG DES LICHTS
Turrells atmosphärischer Lichtraum stellt unsere eigene, persönliche Wahrnehmung und Erfahrung mit dem Licht in den Mittelpunkt. Für jede*n kann das Licht eine andere subjektive, spirituelle Bedeutung haben. In vielen Kulturen und Religionen der Welt ist das Licht in all seinen Formen Bestandteil von Riten und Festen:
Am Weihefest Chanukka, das Jüdinnen und Juden im November oder Dezember feiern, wird im familiären Kreis acht Tage lang jeweils ein Licht am Chanukka-Leuchter angezündet. Damit soll an zentrale Ereignisse in der Geschichte des jüdischen Volkes erinnert werden, u. a. an die Wiedereinweihung des zweiten Tempels in Jerusalem (164 v. Chr.). In dem Lichtwunder des acht Tage lang brennenden Leuchters manifestieren sich im jüdischen Glauben die Anwesenheit Gottes und die Aufgabe der Gläubigen, Hoffnung und Licht in eine düster gewordene Welt zu tragen.
Die Laternenlichter an St. Martin oder die Kerzenlichter des Adventskranzes begleiten Christ*innen in der (Vor-)Weihnachtszeit. Sie bereiten den Heiligen Abend vor, an dem die Geburt von Jesus Christus gefeiert wird, der als Hoffnungsträger Licht in die Welt brachte. Papier- und Strohsterne schmücken Weihnachtsbäume und erinnern an den Stern, der den Hirten und den Heiligen Drei Königen den Weg zum Geburtsort Christi, einem Stall in Bethlehem, zeigte.
Viele Muslim*innen gedenken dem Geburtstag des Propheten Mohammad mit dem Lichterfest Maulid an-Nabī in der 12. Nacht des dritten Monats im islamischen Mondkalender. Mit Feuerwerken, Fackelzügen und mit Kerzen geschmückten Moscheen gedenken sie dem Tag, an dem die in Dunkelheit gehüllte Welt durch die Geburt des Propheten in Licht getaucht wurde.
Mit dem mehrtägigen Lichterfest Diwali gedenken Hinduist*innen ebenso der positiven Strahlkraft des Lichts, die sinnbildlich für eine göttliche Macht steht, die die Menschen von weltlichen Leiden befreit.
LICHT(BLICKE)
Lichtfeste, welcher Religion oder welchem Kulturkreis sie auch verbunden sein mögen, sind Zeichen der Hoffnung und stellen Lichtblicke in finsteren Zeiten dar. Im Jahr 2020 – in Zeiten der Corona-Pandemie, die gesellschaftliche, wirtschaftliche, klima-, aber auch kulturpolitische Missstände in der Welt weiter verschärft und insbesondere Menschen, die im Gesundheitswesen arbeiten, belastet und fordert – sind Reflexionsräume, wie sie Turrell in "Split Decision" für jede*n Einzelne*n schaffen möchte, von großer aktueller Relevanz.
So stehen wir alle dieses Jahr vor einer Art „Split Decision“, nämlich der nicht einfachen, eigenverantwortlichen Entscheidung, wie und in welchem Kreis religiöse und kulturelle Feste oder Zusammenkünfte, darunter auch das Weihnachtsfest 2020, begangen werden können. So wird die Zeit gegen Ende des Jahres von vielen Fragen begleitet, die wir uns selbst stellen (müssen):
Welche Auswirkungen haben meine Entscheidungen? Welches Gewicht hat mein Handeln in Zeiten der Krise? Und was sind trotz der aktuellen Situation Lichtblicke im kommenden Jahr?
Turrells Rauminstallationen sind hierfür geeignete (Rückzugs-)Orte, weil sie dem Sehen, aber auch dem Träumen in der Auseinandersetzung mit dem Licht gewidmet sind.
So hoffen wir, das Team der Kunsthalle, dass unsere Besucher*innen Turrells (be)sinnliche Lichtinstallation bald wieder vor Ort erleben können, denn #Ohne Kunst und Kultur wird‘s still.