Sternenbilder bei Anselm Kiefer

KUMA BLOG

04.03.21
Sebastian Baden

Sternenbilder bei Anselm Kiefer

Für den Künstler Anselm Kiefer sind die mythologischen und naturwissenschaftlichen Deutungen zur Entstehung der Welt, des Lebens und des Universums zentrale Themen. Wie kann es sein, dass etwas ist, und dass nicht Nichts ist? Wie kam es zur Schöpfung bzw. zum Urknall? Seit vielen Jahren beschäftigt sich der Künstler mit diesen Fragen und zieht dazu Theorien der Astronomie, der Astrologie und der Mystik heran. Die jüdische Kabbala liefert eine mindestens so interessante Erzählung wie die moderne Physik. Das Licht von Gottes Schöpfung hat die Sterne und die Gefäße geschaffen, die die Entstehung des Lebens ermöglichen, schreibt Rabbi Isaak Luria. Und der britische Renaissance-Forscher Robert Fludd hat jeder Pflanze auf der Erde einen Stern im Universum zugeordnet. Er sah also eine Analogie zwischen Mikrokosmos und Makrokosmos, aus der die Einheit zwischen Mensch und Umwelt begründet ist. Für Kiefer sind Literatur und Mythologie Quellen seiner Inspiration.

Gerade erst am 18.Februar 2021 wurde die Menschheit Augenzeugin bei einem sensationellen Ereignis: Der NASA ist es gelungen, eine ferngesteuerte Landung auf dem Planeten Mars erfolgreich durchzuführen. Jubel im Kontrollzentrum auf der Erde! Der über Satellit und Funk gelenkte Rover „Perseverance“ wird nun auf dem Mars wissenschaftliche Daten erheben. Nach der Landung der Apollo 11 auf dem Mond 1969 und den erfolgreichen Forschungen auf der Internationalen Raumstation ISS, ist die Mission zum Mars ein neuer, großer Schritt zur Erforschung des Universums und der Planeten im Sonnensystem rund um die Erde. Schon bei Gründung der Stadt wurde, unter der Herrschaft von Maharadscha Jai Singh II. (1686–1743), in Jaipur eine Sternwarte errichtet, von der aus das Universum beobachtet werden konnte. Anselm Kiefer hat seine Bilderserie „Jaipur“ in Bezug auf dieses indische Observatorium angelegt. Das Bild zeigt die Verbindung zwischen Himmel und Erde als eine elementare Einheit. Das Sternenbild „Ras Algheti“ wird als Konstellation des Herkules angesehen. Hier kommen die Architektur der historischen indischen Sternwarte in Rajasthan und die wissenschaftliche Nomenklatur der NASA zusammen. Die Anordnung von Zahlenkolonnen auf dem Bild spiegelt den Blick ins Universum und die Position von Planeten und Sonnen in anderen Galaxien wieder. Anselm Kiefer notiert die Ziffern der NASA auf dem Bild oder auf Glasscherben. In einem „Sternenlager“ seines Ateliers lagert dieses Ordnungssystem, auf das er für seine Bilder und Installationen zurückgreift; als „Sternenfall“ betitelte Kiefer eine große retrospektive Ausstellung im Grand Palais in Paris 2015. Überall in seinen Ateliers schafft der Künstler sich Sternenbilder und Wege, die mit zerbrochenen Glasscheiben aus Sternen auf dem Boden übersät sind.

Weitere Blogbeitraege

„Unheil“

Dieser Text wurde verfasst als Einführung zu einer Vorführung des Films „Unheil“ von John Bock im Rahmen der Filmreihe Film & Kunst im Cinema Quadrat, Mannheim, am 15.06.2023. Hier liegt der Text nun in leicht überarbeiteter Fassung vor. Über den Vergleich mit anderen Arbeiten von Bock und mit Filmen von Christoph Schlingensief wird „Unheil“ in das... Blogbeitrag lesen

Nationalsozialistische Raubkatzen

Philipp Harth (1885-1968) – ein Name, der selbst vielen Kunstinteressierten heute kein Begriff mehr sein dürfte. Dabei gilt er der Kunstgeschichte als „[…] zweifellos der bedeutendste dt. Tierbildhauer der Zwischen- und Nachkriegszeit, der wesentlich zu Erneuerung des Sujets beigetragen hat.“(1) Seine Aufsätze zur Bildhauerei wurden seinerzeit von einem... Blogbeitrag lesen

A way of resisting (Athens Data Garden), 2020

Next to human activities such as burning fossil fuels and deforestation the exponentially growing digital data-driven economy contributes to climate crisis with energy intensive infrastructures such as data centres. By 2024 storing data is set to create around 14% of the world’s emissions, which is around the same amount that US creates today. Abb 1: A... Blogbeitrag lesen

Kunst im Schwebezustand

Der Künstler Tomas Kleiner hat für die Ausstellung "1,5 Grad. Verflechtungen von Leben, Kosmos, Technik" ein performatives Atelier eingerichtet, in dem er an drei Terminen artenübergreifende Flugübungen durchführt. Kuratorin Anja Heitzer hat sich intensiver mit seinem Werk beschäftigt.      Abb.: Tomas Kleiner, Performatives Atelier, 2023;... Blogbeitrag lesen

Das große Fressen

Nahezu 200 Werke zählt die Ausstellung 1,5 Grad. Eines davon stellt der Kurator Sebastian Schneider genauer vor: Brakfesten / La Grande Bouffe von Anne Duk Hee Jordan und Pauline Doutreluingne. Hier erläutert er, was ihn an dem Werk begeistert und warum es für die Ausstellung ausgewählt wurde. Abb. 1 Anne Duk Hee Jordan & Pauline Doutreluingne,... Blogbeitrag lesen