Sehnsuchtsorte in der Kunst: Robert Delaunays „Das Fenster zur Stadt“
Unser Nachbarland Frankreich hat seine Grenze ab dem 15. Juni wieder für Reisende aus Deutschland geöffnet. Touristenunterkünfte in weiten Teilen des Landes bereiten sich auf ankommende Urlauber vor, jedoch normalisiert sich das Leben in der Hauptstadt Paris voraussichtlich erst ab Ende des Monats. Die Metropole wurde vom Virus schwer getroffen, doch nun ist der wunderbare Genuss eines café au lait bereits auf den Terrassen der Stadt und bald auch wieder in den Innenräumen möglich. Kulturelle Institutionen wie Theater und Museen wappnen sich für einen Neustart und potentielle Besucher des Wahrzeichens der Stadt, des Eiffelturms, warten gespannt auf den 25.06. und damit auf die derzeit offiziell geplante Wiederöffnung des Publikumsmagneten.
Das berühmte Bauwerk wurde einst als Attraktion einer Weltausstellung geplant, als Meisterwerk der Ingenieurskunst gefeiert und ist noch heute wichtigstes Wahrzeichen von Paris und der ganzen französischen Nation. Nach seinem Erbauer Gustave Eiffel benannt, war der Turm als markantes Zeichen der Moderne mit 324 Metern Höhe in seinem Entstehungsjahr 1889 das höchste Bauwerk der Welt. Dennoch gab er bereits vor seiner Errichtung Anlass zu Kontroversen um seinen Nutzen und seine Ästhetik, die sich so sehr von der klassischen Steinarchitektur zu distanzieren und zu emanzipieren schien. Zahlreiche namhafte Künstler sprachen sich öffentlich gegen seine Entstehung aus und auch noch im Jahr 1909 gab es Überlegungen, das Monument abzureißen. Bekanntermaßen wurden diese nicht umgesetzt.
Im gleichen Jahr wählt ein junger Künstler den Eiffelturm zum Objekt zahlreicher künstlerischer Experimente: Für Robert Delaunay stand der Eiffelturm für den technisch-kulturellen Fortschritt seiner Zeit. Besonders die filigrane Eisenkonstruktion inspirierte ihn zu insgesamt rund 30 Gemälden. Die innovative Bauweise des Turms wird zum idealen Motiv für die neuartige Darstellungsweise des Künstlers, der zusammen mit seiner Frau Sonia Delaunay-Terk viele Jahre den von ihm als peinture pure bezeichneten Stil entwickelte – eine reine Malerei kubistischer Formen voller Licht und Farbe. Eines der Gemälde aus der Reihe der Fensterbilder befindet sich heute in der Kunsthalle Mannheim. Das Werk stammt aus dem Jahr 1914, war jedoch in seiner Komposition bereits 1910 angelegt. Der Maler wählte hier keine naturalistische Darstellung, sondern zerlegte sie in kubistische Aufsplitterungen und gibt so die pulsierende und fortschrittliche Hauptstadt in transparenten Farbflächen wieder. Die titelgebende Aussicht durch das angedeutete Fenster gleicht dem Blick durch ein Kaleidoskop, welches die Stadt in simultane Farbflächen bricht und – trotz dieser Verfremdung – das Motiv des Eiffelturms in der Pariser Dachlandschaft erkennen lässt. Inmitten der abstrakten Dachspitzen und Schornsteine thront der in Rot gehaltene Turm als Anziehungspunkt für den Betrachter. Kaum zu glauben, dass Delaunay als einziger Maler seiner Generation den Eiffelturm so oft zum Objekt seiner Studien wählte und das Motiv heute als urban icon aus den Souvenirläden der Stadt nicht wegzudenken ist.