Sehnsuchtsorte in der Kunst: Robert Delaunays „Das Fenster zur Stadt“

KUMA BLOG

19.06.20
Eva-Maria Schütz

Sehnsuchtsorte in der Kunst: Robert Delaunays „Das Fenster zur Stadt“

Unser Nachbarland Frankreich hat seine Grenze ab dem 15. Juni wieder für Reisende aus Deutschland geöffnet. Touristenunterkünfte in weiten Teilen des Landes bereiten sich auf ankommende Urlauber vor, jedoch normalisiert sich das Leben in der Hauptstadt Paris voraussichtlich erst ab Ende des Monats. Die Metropole wurde vom Virus schwer getroffen, doch nun ist der wunderbare Genuss eines café au lait bereits auf den Terrassen der Stadt und bald auch wieder in den Innenräumen möglich. Kulturelle Institutionen wie Theater und Museen wappnen sich für einen Neustart und potentielle Besucher des Wahrzeichens der Stadt, des Eiffelturms, warten gespannt auf den 25.06. und damit auf die derzeit offiziell geplante Wiederöffnung des Publikumsmagneten.

Das berühmte Bauwerk wurde einst als Attraktion einer Weltausstellung geplant, als Meisterwerk der Ingenieurskunst gefeiert und ist noch heute wichtigstes Wahrzeichen von Paris und der ganzen französischen Nation. Nach seinem Erbauer Gustave Eiffel benannt, war der Turm als markantes Zeichen der Moderne mit 324 Metern Höhe in seinem Entstehungsjahr 1889 das höchste Bauwerk der Welt. Dennoch gab er bereits vor seiner Errichtung Anlass zu Kontroversen um seinen Nutzen und seine Ästhetik, die sich so sehr von der klassischen Steinarchitektur zu distanzieren und zu emanzipieren schien. Zahlreiche namhafte Künstler sprachen sich öffentlich gegen seine Entstehung aus und auch noch im Jahr 1909 gab es Überlegungen, das Monument abzureißen. Bekanntermaßen wurden diese nicht umgesetzt.

Im gleichen Jahr wählt ein junger Künstler den Eiffelturm zum Objekt zahlreicher künstlerischer Experimente: Für Robert Delaunay stand der Eiffelturm für den technisch-kulturellen Fortschritt seiner Zeit. Besonders die filigrane Eisenkonstruktion inspirierte ihn zu insgesamt rund 30 Gemälden. Die innovative Bauweise des Turms wird zum idealen Motiv für die neuartige Darstellungsweise des Künstlers, der zusammen mit seiner Frau Sonia Delaunay-Terk viele Jahre den von ihm als peinture pure bezeichneten Stil entwickelte – eine reine Malerei kubistischer Formen voller Licht und Farbe. Eines der Gemälde aus der Reihe der Fensterbilder befindet sich heute in der Kunsthalle Mannheim. Das Werk stammt aus dem Jahr 1914, war jedoch in seiner Komposition bereits 1910 angelegt. Der Maler wählte hier keine naturalistische Darstellung, sondern zerlegte sie in kubistische Aufsplitterungen und gibt so die pulsierende und fortschrittliche Hauptstadt in transparenten Farbflächen wieder. Die titelgebende Aussicht durch das angedeutete Fenster gleicht dem Blick durch ein Kaleidoskop, welches die Stadt in simultane Farbflächen bricht und – trotz dieser Verfremdung – das Motiv des Eiffelturms in der Pariser Dachlandschaft erkennen lässt. Inmitten der abstrakten Dachspitzen und Schornsteine thront der in Rot gehaltene Turm als Anziehungspunkt für den Betrachter. Kaum zu glauben, dass Delaunay als einziger Maler seiner Generation den Eiffelturm so oft zum Objekt seiner Studien wählte und das Motiv heute als urban icon aus den Souvenirläden der Stadt nicht wegzudenken ist.

Weitere Blogbeitraege

„Unheil“

Dieser Text wurde verfasst als Einführung zu einer Vorführung des Films „Unheil“ von John Bock im Rahmen der Filmreihe Film & Kunst im Cinema Quadrat, Mannheim, am 15.06.2023. Hier liegt der Text nun in leicht überarbeiteter Fassung vor. Über den Vergleich mit anderen Arbeiten von Bock und mit Filmen von Christoph Schlingensief wird „Unheil“ in das... Blogbeitrag lesen

Nationalsozialistische Raubkatzen

Philipp Harth (1885-1968) – ein Name, der selbst vielen Kunstinteressierten heute kein Begriff mehr sein dürfte. Dabei gilt er der Kunstgeschichte als „[…] zweifellos der bedeutendste dt. Tierbildhauer der Zwischen- und Nachkriegszeit, der wesentlich zu Erneuerung des Sujets beigetragen hat.“(1) Seine Aufsätze zur Bildhauerei wurden seinerzeit von einem... Blogbeitrag lesen

A way of resisting (Athens Data Garden), 2020

Next to human activities such as burning fossil fuels and deforestation the exponentially growing digital data-driven economy contributes to climate crisis with energy intensive infrastructures such as data centres. By 2024 storing data is set to create around 14% of the world’s emissions, which is around the same amount that US creates today. Abb 1: A... Blogbeitrag lesen

Kunst im Schwebezustand

Der Künstler Tomas Kleiner hat für die Ausstellung "1,5 Grad. Verflechtungen von Leben, Kosmos, Technik" ein performatives Atelier eingerichtet, in dem er an drei Terminen artenübergreifende Flugübungen durchführt. Kuratorin Anja Heitzer hat sich intensiver mit seinem Werk beschäftigt.      Abb.: Tomas Kleiner, Performatives Atelier, 2023;... Blogbeitrag lesen

Das große Fressen

Nahezu 200 Werke zählt die Ausstellung 1,5 Grad. Eines davon stellt der Kurator Sebastian Schneider genauer vor: Brakfesten / La Grande Bouffe von Anne Duk Hee Jordan und Pauline Doutreluingne. Hier erläutert er, was ihn an dem Werk begeistert und warum es für die Ausstellung ausgewählt wurde. Abb. 1 Anne Duk Hee Jordan & Pauline Doutreluingne,... Blogbeitrag lesen