Sammeln und Bewahren: Museumsarbeit zwischen Erhalten und Gestalten. Ein Tagungsbericht
Museen werden zunehmend zu Austragungsorten von gesellschaftspolitischen Diskursen zu Gleichberechtigung, Inklusion und Ökologie. Der Kunsthistoriker Wolfgang Ullrich sprach zuletzt auch von einer Tempelrevolution, die sich derzeit in der Museumswelt abzeichnet (ART 07/2021). Diesen Umbruch reflektierend und begleitend, fand am 15. Juli die zweite Landesvolontariatstagung des Jahres 2021 in Mannheim und Ludwigshafen statt. Ausgerichtet wurde die aufgrund der Corona-Pandemie online durchgeführte Tagung von den Volontär*innen der Mannheimer und Ludwigshafener Museen (TECHNOSEUM, Reiss-Engelhorn-Museen, Kunsthalle Mannheim, Wilhelm-Hack-Museum, Ernst-Bloch-Zentrum) in Kooperation mit dem Arbeitskreis wissenschaftlicher Volontärinnen und Volontäre des Museumsverbandes Baden-Württemberg e.V.
DIVERS – NACHHALTIG – DIGITAL: Ziele und Herausforderungen der zukünftigen Museumsarbeit
Die Literaturwissenschaftlerin bell hooks schreibt: „Um wirklich visionär zu sein, müssen wir unsere Vorstellungskraft in unserer konkreten Realität verwurzeln und uns gleichzeitig Möglichkeiten jenseits dieser Realität vorstellen.” (übersetzt nach bell hooks, Feminism is for everybody, London 2000, S. 110) Vor der Umsetzung von Visionen steht auch die kritische Auseinandersetzung mit der eigenen Sammlungstätigkeit: Nach welchen Kriterien wurden bisher Objekte in musealen Sammlungen bewahrt und was soll für zukünftige Generationen erhalten werden? Wie kann Diversität im weitesten Sinne in bestehenden Sammlungen sichtbar(er) gemacht und erweitert werden?
Die Vielfalt von Kulturen, Religionen, Gender und Migrationsbewegungen bestimmt seit jeher die Menschheitsgeschichte. Sie prägt nicht nur das soziale bzw. kulturelle Gedächtnis, sondern auch museale Sammlungen aller Fachbereiche – von Technik- und Naturkundemuseen, über Kunst- und Geschichtsmuseen bis hin zu Gedenkstätten. Sowohl Fragen zu Teilhabe und Multiperspektivität als auch die Tragweite unseres Handelns im Sinne einer sozialen und ökologischen Nachhaltigkeit standen daher im Mittelpunkt der Vorträge und interaktiven, praxisorientierten Sessions der Tagung.
In vielen Beiträgen wurde sowohl über die an den Museen betriebene Provenienzforschung als auch über die damit verbundenen Restitutionsansprüche (d.h. die Rückgabe von unrecht entzogenen oder geraubten Kulturgütern) diskutiert, die in diesem Kontext eine entscheidende Rolle spielen. Neben der Aufarbeitung von NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgütern wird sich die Provenienzforschung zukünftig intensiv mit Objekten beschäftigen müssen, die mit kolonialgeschichtlichen Menschheitsverbrechen zusammenhängen und dadurch eine kritische Befragung musealer Sammlungsbestände notwendig machen. Die Thematisierung fragwürdiger und von Diskriminierung zeugender Provenienzen von Kulturgütern ist dabei ebenso wie die Zusammenarbeit mit Communities und Herkunftsgesellschaften von zentraler Bedeutung für die Sammlungsarbeit europäischer Museen, insbesondere für ethnografische Museen. Sowohl internationale Partner*innen als auch lokale Stadtgesellschaften sollen dabei nicht nur bei sammlungspolitischen Entscheidungen berücksichtigt, sondern auch bei der Gestaltung von Sammlungspräsentationen stärker involviert werden, indem sie ihre Geschichte(n) selbst erzählen.
In den Diskussionen und Beiträgen wurde ebenso deutlich, wie die digitale Dokumentation und Archivierung von Sammlungsbeständen (und Ausstellungen) zu den zentralen Bestandteilen heutiger Museumsarbeit gehören und dass eine digitale Vernetzung zwischen den Museen trotz zahlreicher Kooperationen ein bislang noch unerreichtes Ziel darstellt. Online-Datenbanken und -Plattformen ermöglichen es den Museen einerseits, Ergebnisse der Provenienzforschung für die Forschung transparent zu machen, sie können aber ebenso eine breite Öffentlichkeit ansprechen. Nicht zuletzt bietet die Digitalisierung Möglichkeiten, den Austausch zwischen Museen, aber auch zwischen Museen und Herkunftsgesellschaften zu fördern und sich beispielsweise über Datenbanken zu vernetzen, um neben der Bündelung von Wissen die Recherchearbeit von Forscher*innen und Bürger*innen über Ländergrenzen hinweg zu erleichtern. Doch was geschieht beispielsweise mit kleineren Museen und Einrichtungen, denen personelle oder finanzielle Möglichkeiten fehlen, um ihre Sammlungen zu digitalisieren? Die Sichtbarkeit und Wahrnehmbarkeit von Kulturinstitutionen, die Sammlungen verwalten, hängt zunehmend auch von der Bereitstellung digitaler Ressourcen ab. Neben finanziellen und administrativen Hürden gilt es hierbei auch sprachliche Formen zu finden, die sowohl auf den bisher entwickelten (analogen und digitalen) Such- und Findmechanismen aufbauen und gleichzeitig einer politisch korrekten Sprache gerecht werden. Die Konservierung und Bereitstellung der dadurch entstehenden, großen Datenmengen stellt die Museen aber auch vor Herausforderungen, insbesondere was die angestrebte Klimaneutralität betrifft.
Zuletzt bleibt auch die Frage danach, was in Anbetracht der Einhaltung klimapolitischer Ziele überhaupt für zukünftige Generationen erhalten werden soll und wie Kulturgüter (haptisch und digital) nachhaltig konserviert werden können, bis hin zur Erhaltung von Kunstwerken, die ausschließlich in digitaler Form existieren und für die als Neue Medien neue Techniken der Konservierung benötigt werden. Die Digitalisierung erfordert aus konservatorischer und restauratorischer Sicht nicht nur die Notwendigkeit innovativer, nachhaltiger Methoden, sondern sie bietet auch die Chancen einzigartiger, detailreicher Perspektiven auf die Objekte einer Sammlung.
Die Tagung ist Teil einer Reihe von vier Weiterbildungen, die im Zwei-Jahres-Rhythmus für Volontär*innen an staatlichen und nichtstaatlichen Museen, Gedenkstätten und in der Denkmalpflege in Baden-Württemberg stattfinden. Die Tagungsreihe nimmt die zentralen Aufgabenfelder der Museumsarbeit (Sammeln, Bewahren, Forschen, Ausstellen, Vermitteln) und des Museumsmanagements in den Blick. Sie bietet zudem die Möglichkeit zur Vernetzung der Volontär*innen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und dem Saarland.
Das Programmheft steht hier zum Download zur Verfügung.