Weblog von Sebastian Baden

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Terror und die Mediasphäre der Gewaltkommunikation

Terror und die Mediasphäre der Gewaltkommunikation

25.03.22
Introtext: 

Die terroristische Kommunikation erfolgt durch Taten wie Morde und Anschläge, die meistens ohne vorhergehende Ankündigung stattfinden. Aber auch Bombendrohungen sind schon als terroristische, weil staats- und sicherheitsgefährdende Akte benennbar. Der Terror beginnt entsprechend bereits bei der Imagination der Bedrohung, mit der Angst vor dem Anschlag. Die Empfindung von Terror entspringt der subjektiven Wahrnehmung. Mentale Vorstellung und mediale Darstellung bedingen einander, ihnen gemeinsam ist der Doppelsinn von Repräsentation.

Als Menschen nehmen wir Bilder wahr und reproduzieren sie. Dies geschieht über das Zusammenwirken auf einer mentalen und auf einer medialen Ebene. Bild, Körper und Medium arbeiten symbiotisch zusammen und werden deshalb auch gemeinsam von terroristischen Akten getroffen. Sie sind Teil einer Mediasphäre, in welcher sich der Terror als Vor-und Darstellung artikuliert.[1]

Darum hat Bruce Hoffman den Terrorismus allgemein als neue, unerklärte Form des Krieges beschrieben und die besondere mentale Bedrohung hervorgehoben, die von überraschenden terroristischen Angriffen ausgeht. Die Dramatisierung eines politischen Problemfeldes, so Hoffman, stehe gegenüber der Gewaltausübung im Vordergrund, weshalb „Terrorismus in der Tat zu einer pervertierten Form des Showgeschäfts geworden ist“ und wie eine „PR-Kampagne“ funktioniert.[2] Es geht also darum, das Imaginäre, die Vorstellungskraft zu erreichen, anzugreifen und letztlich so stark zu besetzen, dass auch das Verhalten der Menschen beeinflusst wird. Der Journalist Franz Wördemann hat diese Guerillastrategie der Kommunikation angesichts der Attentate der RAF zu Beginn der 1970er-Jahre so erklärt: „Der Neue Guerilla besetzt tendenziell den Raum, um später das Denken gefangen zu nehmen – der Terrorist besetzt das Denken, da er den Raum nicht nehmen kann.“[3]

In der Gegenwart des Jahres 2021 und vor dem Hintergrund einer weltweit vernetzen rechtsextremen Szene muss die historische Betrachtung der terroristischen Mediasphäre aktualisiert werden. Attentäter inszenieren sich nun selbst mit Hilfe der eigenen Videokamera während ihrer Tat in einem online übertragenen „Livestream“. Sie agieren wie Spieler in einer virtuellen Welt der Gaming-Culture, und übertragen die Regeln des Computerspiels auf ein aus ihrer Perspektive echtes Kriegsspiel. Hier findet eine kognitive Dissonanz statt, denn das Morden ist kein Spiel, sondern eine grausame und schreckliche Realität für die Betroffenen. „Zum Aspekt des öffentlichen Charakters der Anschläge gehört daher einerseits ein Voyeurismus gegenüber den Opfern sowie andererseits eine Wirkung der Morde auf die Gruppe, die der Täter zum Ziel hatte.“[4]

Selbstdarstellung und Selbstbeobachtung spiegeln bei den Anschlägen der als „Egoshooter“[5] bezeichneten Attentäter ein narzisstisch geprägtes Selbst wieder. Der eigene Hass auf selbst produzierte und angeeignete Feindbilder wird aus dem Internet über den realen Akt der Gewalttat ins Internet zurückgespielt. Die Inszenierung „Live“ und in „Echtzeit“ findet nun direkt für ein Online-Publikum statt, ohne dass eine Bildredaktion oder Kommentare von Nachrichtensprecher*innen eine Moderation wahrnehmen können. Diese mediale Inszenierung ist neu, weshalb auch von einem neuen Terrorismus gesprochen werden kann, der die Mediasphäre als ein pervertiertes „Monitorstadium“[6] nutzt.

Terroristische Akte fordern entsprechend zur Nachahmung auf. Terrorist*innen produzieren und inszenieren Gewalttaten, um innerhalb einer zynischen Überbietungsspirale Anerkennung aus der eigenen Szene zu bekommen. Imageboards sind dafür die neuen Plattformen, auf denen Attentäter*innen ihre Vorbilder bzw. Nachahmungen von Anschlägen, Bekennerschreiben oder Manifesten finden.[7]


Bildmuster in der Medienrevolution

Bilder von Geiselnahmen, Hinrichtungen, Anschlägen, Täter*innen und Opfern strukturieren die mediale Wahrnehmung terroristischer Akte. Spannungen, die aus der emotionalen Erregung wie Wut, Betroffenheit, Angst, Rache oder Trauer entstehen, entladen sich über die Konstellation der Bildmuster und den ritualisierten medialen Gebrauch. In der Reihenfolge der Inszenierung wären dies folgende Kommunikationsstufen: Berichte über den jeweiligen Gewaltakt, dessen Klassifizierung als terroristische Tat, das folgende Narrativ der Begründung oder die Vermutungen über Hintergründe, die Erfassung der Täter*innen und die Vergeltung der Tat durch Verurteilung oder sogar Hinrichtung. Charlotte Klonk sieht „etablierte Bildmuster“ als Regulativ für die mediale Inszenierung und erkennt in der Wiederholung der Berichterstattung eine „beruhigende zivilisatorische Wirkung“, die auf dem „immer gleichen Ablauf von Bildern und Gegenbildern im bekannten Gut-Böse- und Freund-Feind-Schema.“[8] Auch Stefan A. Weichert hat die Sinn stiftende Wirkung ritualisierter Medienberichte über Terrorakte ausführlich dargestellt.[9] Die Wiederholung leistet außerdem einen Beitrag zur Traumabewältigung. Zugleich stimuliert die Wiederholung, insbesondere etwa der Fernsehbilder der Anschläge vom 11. September 2001, eine Schaulust des Publikums, das aus der Distanz der Beobachtung das schreckliche Ereignis wahrnimmt. Der „Aufmerksamkeitsterrorismus“[10] profitiert also von einer Schockwirkung, die besonders in der Ferne und in der Situation einer „Live“-Berichterstattung funktioniert. Die Rahmung durch Medien, ob Fernsehen oder Soziale Medien auf Computer und Smartphone, muss als Teil der Inszenierung wahrgenommen werden. Die Medienrevolution der Moderne zeigt sich insbesondere anhand terroristischer Kommunikationsstrategien. Ob als Druckgrafik, Zeitungslithografie, Fotografie, im Fernsehen oder in digitaler Form auf Online-Plattformen: Die Inszenierung von Terrorismus wird über die Revolution der Medientechnologie einerseits immer professioneller, andererseits bieten sich schon einfachste Kameras und Programme an, um Bildzeugnisse digital zu verbreiten. Dem terroristischen Ikonoklasmus, dem Bildersturm und der Zerstörung von Symbolen sowie der Tötung von Menschen steht die terroristische Ikonografie gegenüber. Über Medienberichte werden aus Bildakten zunächst Waffen, bevor aus den grausamen Bildern später bedeutende Medienikonen werden, die das kollektive Gedächtnis prägen. Michael Diers erklärt das Paradox des terroristischen Attentats auf den „visuellen Enthusiasmus“ der Menschen: „Ihr idiosynkratischer Bildersturm dient ihnen, nur scheinbar paradox, als neue Bildschöpfung.“[11]

Am Modus der Betrachtung und Wahrnehmung von Terror als Ereignis und Medienereignis hat sich also seit der Französischen Revolution zwar die Art der Mediatisierung geändert, nicht jedoch das Spektakel der grausamen Darbietung oder die Erzeugung neuer Feindbilder. Diese schockierende, auf die Visualität des Terrors ausgerichtete Strategie der Inszenierung setzt sich fort mit den Praktiken der Videoexekutionen von Gruppen wie dem sogenannten Islamischen Staat. Und weiter findet die mediatisierte Inszenierung von Terror neue Plattformen in den Social Media-Kanälen, über die „Live“-Szenen terroristischer Akte ohne Kontrollmöglichkeit verbreitet werden, wie 2019 beim Attentat auf eine Moschee in Christchurch in Neuseeland.

 

[1] Régis Débray: Einführung in die Mediologie (frz. 1991), Bern/Stuttgart/Wien 2003; Eva Schürmann: Vorstellen und Darstellen. Szenen einer mediananthropologischen Theorie des Geistes, Leiden, Boston, Singapore, Paderborn 2018, S. 13.

[2] Bruce Hoffman: Terrorismus. Der unerklärte Krieg, Frankfurt am Main 2002, S. 212 u. 176.

[3] Franz Wördemann: Terrorismus. Motive. Täter. Strategien, München/ Zürich 1977, S.16, 57 u. 59.

[4] Jan-Philipp Baeck/ Andreas Speit: Von der virtuellen Hetze zum Livestream-Attentat. In: Dies. (Hg.): Rechte Ego-Shooter. Von der virtuellen Hetze zum Livestream-Attentat, Bonn 2020, S. 7-25, S. 22.

[5] Ebd.

[6] Gerhard Johann Lischka: Das Monitorstadium. BILDO-Akademie (Hg.): Bildmaschinen und Erfahrung, Berlin 1989, S. 19–27, 27; ders.: Über die Mediatisierung: MEDIEN UND RE-MEDIEN, Bern 1988, S. 40.

[7] Verena Straub: Das Selbstmordattentat im Bild. Aktualität und Geschichte von Märtyrerzeugnissen, Bielefeld 2021.

[8] Charlotte Klonk: Terror – Wenn Bilder zu Waffen werden, München 2017, S. 15.

[9] Stephan A. Weichert: Von der Live-Katastrophe zum Medien-Denkmal: Das mediatisierte Krisenereignis 11. September. In: Beuthner u. a. 2003, S. 74–102; ders.: Die Krise als Medienereignis. Über den 11. September im deutschen Fernsehen, Köln 2006; ders.: Im Rausch des Live-Sendens. Terrorismus und seine Inszenierung als Medienereignis. In: Christer Petersen; Jeanne Riou (Hg.): Zeichen des Krieges in Literatur, Film und den Medien / Signs of War in Literatur, Film and Media, Bd. 3: Terror, Kiel 2008, S. 325–355; ders.: Ein Stück Welt ist explodiert. Terrorbilder/Bilderterror 2001: Von der Live-Katastrophe zum inszenierten Medienereignis. In: Unheimlich vertraut 2011, S. 212–239.

[10] Stephan A. Weichert: Aufmerksamkeitsterror 2001. 9/11 und seine Inszenierung als Medienereignis. In: Paul 2008, Bd. 2: 686–693.

[11] Michael Diers: Vorwort. In: Ders.: Vor aller Augen. Studien zu Kunst, Bild und Politik, Paderborn 2016, S. 9-17, 15.

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Mindbombs: ein Gespräch über die Anschläge vom 11. September 2001

Mindbombs: ein Gespräch über die Anschläge vom 11. September 2001

09.11.21
Introtext: 

Dr. Stephan Weichert im Gespräch mit Dr. Sebastian Baden, Kurator der Ausstellung „Mindbombs“

Sebastian Baden: 9/11 ist zu einer historischen Chiffre für den 11. September 2001 geworden. Wie halten Sie persönlich die Anschläge in Ihrer Erinnerung?
Stephan Weichert: Einige Fachkolleg:innen, aber auch meine Familie und Freunde erinnern mich um den 11. September herum jedes Jahr daran, weil sie wissen, dass ich zur Medienberichterstattung über 9/11 lange geforscht und promoviert habe und mich bis heute mit Krisen und öffentlicher Krisenkommunikation sowohl wissenschaftlich als inzwischen auch vorrangig in meiner praktischen Arbeit beschäftige. Und wie jedes Jahr schaue ich mir Sondersendungen und Dokumentationen an, lese Essays und Reportagen über die Folgen des 11. Septembers und recherchiere, was sich in der Medienwissenschaft in der Zwischenzeit zu diesem spannenden Themenkomplex getan hat. Häufig werde ich auch für Interviews und Diskussionen angefragt. Zu meinen persönlichen Ritualen gehört es, dass ich mich auch mit den künstlerischen Aufarbeitungen befasse. Inzwischen habe ich Kinder, die beide so alt sind, dass ich mir ihnen darüber spreche.

Sie haben in ihrer Forschung eine Analyse der Anschläge und deren medialer Verbreitung vorgenommen. Woran liegt es, dass ausgerechnet die visuellen Eindrücke so nachhaltig sind und insbesondere der Angriff auf das World Trade Center als „ikonisch“ bewertet wird?
Viele Kolleg:innen sprachen damals nicht umsonst von der "Ikonographie des Terrors": Die visuelle Wahrnehmung dieses Ereignisses war im vorhinein nahezu perfekt vorbereitet und gewissermaßen für die Medienwelt choreografiert worden. Schon alleine die in das World Trade Center steuernden und explodierenden Flugzeuge haben Bilder hervorgerufen, die zunächst wie aus einem Action-Film anmuten. Niemand konnte damals beim ersten Anblick glauben, dass diese Bilder authentisch sind. Erst nach den mehrmaligen Wiederholungen im Fernsehen, von denen es viele Endlosschleifen gab, hat das menschliche Gehirn realisiert, dass die Bilder echt sind. Und in diesem Moment waren sie für viele Menschen umso eindrucksvoller.  Die Bilder sind bis heute für alle, die sie damals live oder quasi-live gesehen haben, unvergesslich, weil sie in ihrer Darstellung eine Tragweite hatten, die für viele unbegreiflich war: zum einen im Hinblick auf die Grausamkeit der Tat selbst, aber zum anderen wegen der politischen Folgen, die diese Anschläge haben könnten und dann ja de facto hatten. Zum ikonischen Charakter der Bilder trägt ebenfalls bei, dass die Türme kurze Zeit später vollständig in sich zusammenstürzten und die gigantische Staubwolke eine Stadt mit tausenden Menschen in Manhattan unter sich begrub. Das hat bei den Zuschauer:innen eine Gänsehaut hervorgerufen und eine Hilflosigkeit, die in der westlichen Welt in dieser Generation zuvor bisher nicht bekannt war.

Was bedeutet es historisch und kulturwissenschaftlich, dass der Begriff „Terrorismus“ mit den Anschlägen am 11.9.2001 verbunden wird?
Für die Karriere des Terrorbegriffs war das so etwas wie eine Zeitenwende. "Terror" bezeichnet ja - vereinfacht gesagt - "die systematische Verbreitung von Furcht und Schrecken in der Bevölkerung, um bestimmte Ziele durchzusetzen". Eine derartige Instrumentalisierung der journalistischen Medien wie am 11.09.2001 war bis dato so noch nicht praktiziert worden - auch wenn es gerade in Deutschland durch den Terror der RAF der 1970er Jahre einige Erfahrungen mit der medialen Darstellung terroristischer Akte gegeben hatte. Als ein prominentes Beispiel für eine besonders perfide Propaganda der Tat durch die RAF kann die Entführung von Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer gelten, dessen kaltblütige Ermordung quasi via "Tagesschau" angekündigt worden ist. Am 11. September 2001 zeigten sich nun zwei weitere Dimensionen des "neuen Terrorismus": Die koordinierte Entführung von Passagierflugzeugen, die als Waffen missbraucht und bewusst in mehrere zivile Gebäude gesteuert wurden. Und die Live-Übertragungsmöglichkeit, die in der Medienmetropole New York per se gegeben war.

Wie hat sich die Mediatisierung politischer Gewalt seit 9/11 bis heute geändert?
Sie ist professioneller, subtiler und fragmentarisierter. Professioneller, weil die meisten Terrorvereinigungen inzwischen viel koordinierter vorgehen und sich geschult durch die Beschäftigung spezieller Fachleute der Medien bemächtigen und diese handwerklich virtuos bedienen können. Das lässt sich zum Beispiel an den Hinrichtungsvideos erkennen, die mehrmals "geprobt" werden und am Ende wie ein Werbevideo geschnitten und mit Sound unterlegt werden. Das klingt makaber, ist aber etwa für den IS in den Folgejahren zum Hauptrekrutierungswerkzeug geworden. Sie ist subtiler, indem terroristische Propaganda gezielter hergestellt und mitunter nicht mehr so offensichtlich gestreut wird, zum Beispiel in Kommunikationsforen, die für Laien sehr schwer zugänglich und einsehbar sind. Fragmentarisierter ist sie vor allem in der Wahrnehmung des Publikums: Weil heute immer weniger Menschen lineares Fernsehen schauen, findet Terrorpropaganda vor allem über soziale Medien etwa über YouTube und Facebook statt. Es ist für Terroristen allemal schwieriger geworden, ein Millionenpublikum zu erreichen wie am 11. September 2001, weil auch die Medienschaffenden selbst vorsichtig geworden sind und aus den Instrumentalisierungsversuchen gelernt haben. Einige Sender haben sich Statute gegeben, in denen sie sich zu einem verantwortungsvollen Umgang mit Terrorinhalten verpflichten. Insgesamt ist Terrorismus aber heute mehr denn je ein medial vermitteltes Ereignis, das in seiner digitalen Kommunikation auf öffentliche Effekte statt auf Nahkampf setzt. Die Mediatisierung politischer Gewalt bleibt damit eine der ambivalenten Herausforderungen unserer Zeit.

Gibt es nach 20 Jahren eine veränderte ethische und medienwissenschaftliche Perspektive auf 9/11?
Auch in der ethischen und medienwissenschaftlichen Perspektivierung nehme ich 20 Jahre nach 9/11 eine Ambivalenz wahr. Das betrifft zum einen die wachsende Verunsicherung bei der ethischen Bewertung der Medienberichterstattung in Bezug auf Krisen- und Terrorereignisse im Allgemeinen: Es gibt schlicht kein Patentrezept, wie Medien ethisch korrekt über Krisen und Terror berichten können und sollten, sondern allenfalls handwerkliche Richtlinien, an denen sich Medienschaffende orientieren können. Das macht es für die medienkritische Betrachtung aber schwierig, dahingehend Empfehlungen auszusprechen. Mitunter habe ich den Eindruck, dass die digitale Medienwelt sich immer schneller verändert und damit auch die Möglichkeiten, wie sich die Kommunikation über Terrorismus verbreitet. Der andere Aspekt ist noch wichtiger: Unsere Gesellschaft steckt prinzipiell in einer Phase der medialen Totalüberforderung. Das gilt vor allem in Bezug auf Krisen: Der Eindruck, dass wir nur noch von Krise zu Krise taumeln und die Welt sich zu einem immer schlechteren Ort entwickelt, führt zu einer Desorientierung und etwas, das wir "Medien-Depression" nennen können - also eine Aversion gegen Medien, die das schon bestehende Ohnmachtsgefühl in der Bevölkerung letztlich verstärken, dass wir ohnehin nichts ändern können. Es ist daher entscheidend, dass wir gemeinsam eine "Digitale Resilienz" entwickeln, die das Publikum zu mehr Souveränität und Selbstwirksamkeit befähigt.

Dr. phil. Stephan Weichert ist Medien- und Kommunikationswissenschaftler sowie einer der Gründer des internationalen Think & Do Tanks VOCER und Ko-Direktor des dazugehörigen Instituts für Digitale Resilienz. Seit 20 Jahren ist er im Hochschulmanagement und in der Journalistenausbildung tätig, davon über 12 Jahre als Professor für digitalen Journalismus in Hamburg und Berlin. Weichert war Leiter des Masterstudiengangs „Digital Journalism“ der Universität Hamburg und Gründungsdirektor des Weiterbildungsprogramms „Digital Journalism Fellowship“ sowie Studiengangleiter an der Hochschule Macromedia für angewandte Wissenschaften in Hamburg. Er hat Soziologie, Journalistik und Psychologie studiert und absolvierte mehrere Forschungsaufenthalte u.a. in New York und Kalifornien (USA). Der Publizist und Filmemacher lebt mit seiner Familie in Hamburg.
Twitter: @stephanweichert

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Sternenbilder bei Anselm Kiefer

Sternenbilder bei Anselm Kiefer

04.03.21
Introtext: 

Für den Künstler Anselm Kiefer sind die mythologischen und naturwissenschaftlichen Deutungen zur Entstehung der Welt, des Lebens und des Universums zentrale Themen. Wie kann es sein, dass etwas ist, und dass nicht Nichts ist? Wie kam es zur Schöpfung bzw. zum Urknall? Seit vielen Jahren beschäftigt sich der Künstler mit diesen Fragen und zieht dazu Theorien der Astronomie, der Astrologie und der Mystik heran. Die jüdische Kabbala liefert eine mindestens so interessante Erzählung wie die moderne Physik. Das Licht von Gottes Schöpfung hat die Sterne und die Gefäße geschaffen, die die Entstehung des Lebens ermöglichen, schreibt Rabbi Isaak Luria. Und der britische Renaissance-Forscher Robert Fludd hat jeder Pflanze auf der Erde einen Stern im Universum zugeordnet. Er sah also eine Analogie zwischen Mikrokosmos und Makrokosmos, aus der die Einheit zwischen Mensch und Umwelt begründet ist. Für Kiefer sind Literatur und Mythologie Quellen seiner Inspiration.

Gerade erst am 18.Februar 2021 wurde die Menschheit Augenzeugin bei einem sensationellen Ereignis: Der NASA ist es gelungen, eine ferngesteuerte Landung auf dem Planeten Mars erfolgreich durchzuführen. Jubel im Kontrollzentrum auf der Erde! Der über Satellit und Funk gelenkte Rover „Perseverance“ wird nun auf dem Mars wissenschaftliche Daten erheben. Nach der Landung der Apollo 11 auf dem Mond 1969 und den erfolgreichen Forschungen auf der Internationalen Raumstation ISS, ist die Mission zum Mars ein neuer, großer Schritt zur Erforschung des Universums und der Planeten im Sonnensystem rund um die Erde. Schon bei Gründung der Stadt wurde, unter der Herrschaft von Maharadscha Jai Singh II. (1686–1743), in Jaipur eine Sternwarte errichtet, von der aus das Universum beobachtet werden konnte. Anselm Kiefer hat seine Bilderserie „Jaipur“ in Bezug auf dieses indische Observatorium angelegt. Das Bild zeigt die Verbindung zwischen Himmel und Erde als eine elementare Einheit. Das Sternenbild „Ras Algheti“ wird als Konstellation des Herkules angesehen. Hier kommen die Architektur der historischen indischen Sternwarte in Rajasthan und die wissenschaftliche Nomenklatur der NASA zusammen. Die Anordnung von Zahlenkolonnen auf dem Bild spiegelt den Blick ins Universum und die Position von Planeten und Sonnen in anderen Galaxien wieder. Anselm Kiefer notiert die Ziffern der NASA auf dem Bild oder auf Glasscherben. In einem „Sternenlager“ seines Ateliers lagert dieses Ordnungssystem, auf das er für seine Bilder und Installationen zurückgreift; als „Sternenfall“ betitelte Kiefer eine große retrospektive Ausstellung im Grand Palais in Paris 2015. Überall in seinen Ateliers schafft der Künstler sich Sternenbilder und Wege, die mit zerbrochenen Glasscheiben aus Sternen auf dem Boden übersät sind.

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Aufbau der Ausstellung "Anselm Kiefer"

Aufbau der Ausstellung "Anselm Kiefer"

20.11.20
Introtext: 

Mit viel Vorfreude habe ich den Transport der Kunstwerke von Anselm Kiefer erwartet. Für den Aufbau der Ausstellung musste unser Team früh mit der Planung beginnen. Wie bei anderen Ausstellungen gibt es dafür Zeit- und Hängepläne; in diesem Fall spielten die Größe, das Gewicht der Kunstwerke und ihre verschiedenen Segmente aber eine entscheidende Rolle: Passen die Arbeiten überhaupt in die Räume, trotz der Höhe von 5 Metern bzw. 6,50m im Obergeschoss? Und halten die Wandkonstruktionen die Belastung aus? Nicht alle Werke der Vorauswahl konnten deshalb in das Ausstellungskonzept aufgenommen werden. Mehrere LKW mit Anhänger brachten die Werke aus den Depots in die Kunsthalle.

Schließlich werden mit 17 Bildern und Skulpturen wichtige Werke gezeigt; darunter sind zwei Objekte schon bekannt: Das Hochformat „Sephirot“ hängt bereits im Atrium der Kunsthalle, die Skulptur „Frauen der Antike“ hat einen neuen Platz und sogar eine „Schwester“ bekommen. Die beiden Skulpturen sind im zweiten Raum der Ausstellung mit dem thematischen Titel „Mann und Frau“ zu finden. Und wer kann glauben, dass die sieben Bleibücher auf der Figur „Frauen der Antike“ fast 1,5 Tonnen zusammenbringen?

Die Installation „Volkszählung“ ist ein Container aus Eisenplatten; darin hängen in Bleibahnen gepresste „60 Millionen Erbsen“ und auf dem Dach liegen zwei Bleischlangen. Das Werk ist zwar aufwändig aufzubauen, aber Dank der vorliegenden Baupläne und mit viel Kraft haben wir es geschafft; kaum zu glauben, wie viele schwere Holzkisten dafür auf LKWs angeliefert werden mussten. Wenn die Position einmal festgelegt ist, lässt sich das extrem schwere Objekt keinen Millimeter mehr verrücken. Jetzt steht das Werk gut ausgeleuchtet mitten im Raum.

Komplizierter war der Transport der Palme, die zur Installation „Palmsonntag“ gehört. Mit einem Spezialgabelstapler wurde die Palme abgeladen und ins Haus gefahren. Zum Glück ist das Objekt aus Kunststoff nachgebildet und deshalb weniger schwer als ein echter Baum. Die 30 zur Installation gehörenden, schweren Eisenvitrinen mit Glas konnten langsam und präzise mit Kran und Glassauger dicht neben- und übereinander platziert werden. So ergibt sich ein fantastischer Bilderfries.

Besonders habe ich mich auf die Installation der extrem ausladenden Skulptur „Der verlorene Buchstabe“ im Kubus 6 gefreut. Die riesigen Sonnenblumen werden aufwändig an der Heidelberger Druckmaschine befestigt, dann können die schweren Bleibücher drum herum ausgelegt werden; dafür musste sogar der Kran zum Einsatz kommen. Interessant war die Gewichtsprüfung bei der Installation der Ausstellung generell: Manche der kleinen Bilder aus Blei und Holz sind viel schwerer als die riesigen Leinwandgemälde.

Jetzt steht die Ausstellung fix und fertig, nur die Objektbeschilderung fehlt noch. Hoffentlich können wir bald wieder Publikum in der Kunsthalle empfangen, damit wir mit unserer Freude über die tollen Werke nicht allein sind!

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On the Quiet Digital – Das neue Format der STUDIO Ausstellung geht online

On the Quiet Digital – Das neue Format der STUDIO Ausstellung geht online

22.04.20
Introtext: 

In der besonderen Situation der COVID-19 Pandemie verlagert die Kunsthalle die STUDIO Ausstellung „On the Quiet“ ins Internet auf Social Media Plattformen. Das neue Format findet ab 22. April online statt und wird von einer Serie Videoclips begleitet.

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