Provenienzforschung: eine kunsthistorische Disziplin von großer Aktualität

KUMA BLOG

10.09.20
Mathias Listl

Provenienzforschung: eine kunsthistorische Disziplin von großer Aktualität

Provenienzforschung – Was ist das?
Abgeleitet vom lateinischen Verb provenire (abstammen, herkommen) versteht man unter Provenienzforschung die Lehre von der Herkunft der Kunstwerke. Die Disziplin untersucht also die Besitzerwechsel, die ein Kunstwerk im Laufe seines Bestehens durchlaufen hat. Die heutige Provenienzforschung geht aber noch einen Schritt weiter. Sie interessiert sich vor allem dafür, ob das jeweils untersuchte Objekt aus einem „Unrechtskontext“ stammt. D. h. sie versucht zu klären, ob ein Kunstwerk einem Vorbesitzer innerhalb eines politischen Unrechtssystem geraubt wurde oder ob es dieser unter Zwang verkaufen musste.

Der NS-Kunstraub – Hauptaufgabe der Forscher weltweit
Zu diesen Unrechtssystemen, deren Folgen heute von der Provenienzforschung aufzuklären sind, zählt etwa der europäische Kolonialismus. Aber auch der Kunstraub, den die DDR an ihren eigenen Bürgern beging, rückt seit einigen Jahren immer stärker in den Fokus der Disziplin. Ein Großteil der Provenienzforscher konzentriert sich heute aber vor allem auf den Bereich der sog. NS-Raubkunst. Denn nach wie vor gilt es, Kunstwerke zu identifizieren, die vom NS-Staat aus politischen, religiösen oder ideologischen Gründen Verfolgten zwischen 1933 und 1945 geraubt wurden oder die diese damals unter Zwang aufgeben mussten.       

Aufklärung und Restitution – heute aktueller denn je 
Denn auch wenn sich dieser Kunstraub bereits vor mindestens 75 Jahren abgespielt hat, ist ein Großteil des Unrechts auch heute noch längst nicht aufgearbeitet. Zwar haben die westlichen Alliierten, vor allem die Amerikaner, in den ersten Jahrzehnten nach 1945 viel für die Klärung offener Besitzfragen getan. Danach machten aber vor allem abgelaufene Meldefristen eine Rückgabe an die rechtmäßigen Vorbesitzer fast unmöglich.
Dass unter die Restitution, also die Rückgabe, von NS-Raubkunst kein zeitlicher Schlussstrich zu ziehen ist, hat sich erst in den 1990er-Jahren durchgesetzt. In den Washington Principles haben sich 1998 über 40 Nationalstaaten dazu verpflichtet, NS-Raubkunst aus staatlichem Besitz zu identifizieren und ihren rechtmäßigen Besitzer zurückzugeben.

Provenienzforschung an der Kunsthalle
Nicht zuletzt hat auch die Bundesrepublik Deutschland seitdem viel unternommen, um NS-Raubkunst in öffentlichen Sammlungen ausfindig zu machen. Zwischen 2011 und 2018 konnte etwa auch die Kunsthalle Mannheim mit Hilfe staatlicher Förderung die eigenen Bestände eingehend danach untersuchen. Das Vorgehen wie auch die Ergebnisse dieser Recherchen ist wiederum Thema der noch bis zum 31. Januar 2021 laufenden Ausstellung (Wieder-)Entdecken – Die Kunsthalle 1933 bis 1945 und die Folgen (Kurator: Dr. Mathias Listl).

Zur Ausstellung findet ein umfangreiches Vortragsprogramm statt. Termine und weitere Informationen finden Sie hier.

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