Hanna Nagels vielseitiger und zeitloser Motivschatz
Die Anfänge
1907 in Heidelberg geboren, beginnt Hanna Nagel im Oktober 1925 ihr Studium an der Badischen Landeskunstschule in Karlsruhe – damals ein Zentrum der „Neuen Sachlichkeit“. Sie studiert zunächst bei Wilhelm Schnarrenberger, Karl Hubbuch und Hermann Gehri und wird schließlich 1927 Meisterschülerin von Walter Conz in der Graphikklasse. Ihre Zeichnungen aus der Studienzeit beleuchten die Geschlechter- und Rollenverhältnisse an der Schule. Es geht um Fragen der Diskriminierung, um männlich dominierte Machtstrukturen. Die Zahl der Studentinnen war hoch, doch waren die Lehrer durchweg männlich. Gerade die Beziehung zwischen Hubbuch und seiner Schülerin und späteren Frau Hilde Isai wurde von Hanna Nagel häufig thematisiert.
Sie beweist in diesen Darstellungen neben dem scharfen Blick auf Abhängigkeitsverhältnisse ihr besonderes Interesse an dramatischen Rollenspielen. In vielen Blättern verleiht sie ihrem eigenen Erscheinungsbild mit dem kurzen Haar einen sehr maskulinen, modernen Charakter. Das Bild der „neuen Frau“ kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Mehrheit der Frauen ihre Individualität nur innerhalb enger Grenzen ausleben konnten. Später wechselt sie, gemeinsam mit ihrem späteren Ehemann Hans Fischer, an die Vereinigte Staatsschulen für freie und angewandte Kunst Berlin in die Meisterklasse von Emil Orlik.
Paarbeziehung, Frauenbild und Mutterschaft
Nagel fasziniert durch ihren kritischen Blick auf Menschen und Gesellschaft, ihre Selbstdarstellung, ihre Sicht auf das Verhältnis der Geschlechter und schließlich ihre Überführung dieser Grundthemen in eine symbolhaft-mythologische, traumhafte Bildsprache beleuchtet. Im Zentrum vieler Arbeiten steht das Thema Machtmissbrauch und Gewalt zwischen Mann und Frau. Die Künstlerin hat sich intensiv und differenziert mit dem Verhältnis zwischen Mann und Frau, Rollenbildern sowie der Lebenssituation im Konflikt zwischen Berufstätigkeit und Mutterschaft auseinandergesetzt. Dabei beleuchtet sie ein Phänomen differenziert und aus verschiedenen Perspektiven, nie sind die Opfer- und Täterrolle nur einem Geschlecht zugeordnet. Themen, die zeitlos und noch heute brisant sind.
„Dunklen Blätter“ und späten Jahre
In den frühen 1930er-Jahren ändert Hanna Nagel ihren Stil: Die Künstlerin entfernt sich von der Strenge der Neuen Sachlichkeit, die mit Pinsel und Feder in schwarzer Tusche ausgeführten Arbeiten werden formal komplexer und malerischer. Mitte der 30er Jahre nahmen die poetische Mystifizierung der Themen und der Rückgriff auf historisierende Motive zu. Zu dieser Zeit befand sich Nagel mehrmals in Rom und entwickelte ihre „Dunklen Blätter“. In diesen stark symbolhaft aufgeladenen Werken visualisierte sie eine Traumwelt, die den Nationalsozialisten keinen Anlass zur Brandmarkung als „entartete Kunst“ bot.
Nach 1945 gelingt es Hanna Nagel jedoch nicht, ihre künstlerische Karriere fortzuführen. Sie trennt sich von Hans Fischer und zieht die 1938 geborene Tochter Irene allein groß. Ihren Lebensunterhalt verdient sie unter anderem mit Gebrauchsgraphik, Buchillustrationen und Zeichenunterricht. 1975 stirbt Sie an Ihrem Geburtsort in Heidelberg.
Hanna Nagel und die Kunsthalle Mannheim
Die Künstlerin ist durch Ausstellungen und Ankäufe in der Geschichte der Kunsthalle verankert. Hanna Nagels erste Ausstellung hat sie 1930 im Kunstverein Heidelberg, gefolgt von der Ausstellung in der Kunsthalle Mannheim im darauffolgenden Jahr. Vor dem Zweiten Weltkrieg erhält sie zahlreiche Auszeichnungen, unter anderem den Rom-Preis 1933. Noch bis 1944 kann sie – oft gemeinsam mit ihrem Mann – regelmäßig an Ausstellungen teilnehmen. Durch ihr Werk kann mit der Ausstellung 2022 noch einmal ein Stück Museums- und Sammlungshistorie erzählt werden.
AUSSTELLUNGSKATALOG
Passend zur Ausstellung "Hanna Nagel" ist im April 2022 der gleichnamige Katalog im Deutschen Kunstverlag mit einem Essay von Inge Herold sowie Abbildungen aller ausgestellten Werke erschienen.
216 Seiten, 196 Abbildungen, 27 × 22,5 cm, Gebunden, dt./engl., Preis im Museumsshop 28,- €
#KuMaBlog Beitrag zur Ausstellung:
Das soll Liebe sein!?
Hanna Nagels Blick auf das Verhältnis der Geschlechter
von Dr. Inge Herold
Hanna Nagel (1907-1975) beschäftigt sich schon sehr früh mit dem Verhältnis der Geschlechter, mit der Beziehung zwischen Mann und Frau in weit gespanntem Blick von der Liebesbeziehung bis zur Auflösung von traditionellen genderspezifischen Rollenmustern. Sie tut dies in den Jahren zwischen 1928 und 1932 intensiv wie kaum eine andere Künstlerin ihrer Zeit und kann so als feministische Pionierin gelten. Für die Rollenspiele nimmt sie jeweils sich selbst und ihren Partner Hans Fischer als Modell, was jedoch häufig zu Missinterpretationen führt: In der Reduktion der Werkinterpretationen auf rein...