Die Regionale Deltabeben ist ein Gemeinschaftsprojekt der Kunsthalle Mannheim, des Mannheimer Kunstvereins, des PORT 25- Raum für Gegenwartskunst, des Wilhelm-Hack-Museums und des Kunstvereins Ludwigshafen. Die Ausstellung wird seit 2010 im zweijährigen Turnus jeweils in Mannheim und Ludwigshafen gezeigt. In der diesjährigen sechsten Ausgabe werden Werke von 29 internationalen zeitgenössischen Künstler*innen aus verschiedenen Generationen ausgestellt, deren Lebensmittelpunkt und Atelierstandort sich in der Rhein-Neckar-Region befindet.
In den ausgestellten Werken sind alle relevanten Medien des gegenwärtigen Kunstschaffens repräsentiert, von der Malerei über Fotografie und Zeichnung bis zu multimedialen Installationen oder auch Performance. Die Ausrichtung der Ausstellung Deltabeben ist der Grundstein für die Sichtbarkeit der Kunst innerhalb der Region und darüber hinaus. Dies gilt zumal in gesundheitspolitisch schwierigen Zeiten, in denen die Kunstinstitutionen ihre Systemrelevanz für die Kultur und die Politik des Landes behaupten müssen.
Die in den drei Mannheimer Kunstinstitutionen ausgestellten Positionen wurden von einem Expertengremium vorgeschlagen und von einer Jury bestehend aus dem kuratorischen Team der Ausstellung ausgewählt.
Besonderer Dank gilt den Sponsoren und Förderern der Ausstellung.
Kurator*innen des Ausstellungsteils in der Kunsthalle Mannheim: Dr. Inge Herold, Dr. Sebastian Baden und Antonella B. Meloni.
Ein Katalog ist im Museumsshop erhältlich.
FALTBLATT ZUR AUSSTELLUNG
DRUCKVERSION DES FALTBLATTS
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Künstler*innen ganz persönlich über Ihre Werke
AUSSTELLENDE KÜNSTLER*INNEN IN DER KUNSTHALLE
Franziska Degendorfer
Franziska Degendorfer abstrahiert in ihren Materialcollagen gegenständliche, erzählerische Motive. So entstehen formal definierte, farbig akzentuierte Flächen, die sich gegenseitig überlagern und Reliefs bilden. Mit Stoff, Karton und Acrylfarbe gestaltet die Künstlerin die verschiedenen geometrischen Elemente und Ebenen ihrer Bilder.
Auch bei den dreidimensionalen Arbeiten überträgt Degendorfer das Prinzip der Materialcollage auf Tonobjekte. Durch eine spielerische Variation der Form zwischen Abstraktion und Figuration gelingt der Künstlerin die abwechslungsreise Installation einer Skulpturenlandschaft mit formalen und inhaltlichen Querbezügen. Die konkrete und abstrahierte Form der Vase bildet dabei ein Leitmotiv.
Franziska Degendorfer (*1980) studierte an den Kunstakademien in Karlsruhe und Stuttgart. Sie lebt und arbeitet in Karlsruhe.
Laura Sacher
Laura Sacher interessiert sich für die Raumdimensionen und Materialität von Architektur. Sie arbeitet ortsspezifisch mit der Beschaffenheit ihrer Arbeitsumgebung auf dem ehemaligen Kasernengelände Franklin in Mannheim.
Die Künstlerin zeigt hier zwei Werkgruppen. Sie formte eine Raumecke ihres Ateliers viermal mit Gips ab und stellt die Abgüsse gestützt mit Armierungseisen freistehend auf. Die abgeformte Architektur erhält dadurch ein neues Außen und Innen. Das Negativ wird über die Skulptur zum Positiv. Spuren der intensiven körperlichen Bearbeitung durch Werkzeug und bloße Hände bleiben sichtbar erhalten.
Daneben stellt Laura Sacher die Konstruktion eines auf dünnen Eisenstäben schwebenden Baldachins. Die Verbindungselemente sind aus Gips und Jute geformte Balken, deren poröse Materialität hoch über dem Boden ein spannendes Ungleichgewicht suggeriert. Form, Gewicht und Statik entfalten ein fragiles Zusammenspiel.
Laura Sacher (*1990) studierte an der Kunstakademie Karlsruhe und lebt und arbeitet in Mannheim.
Alexander Horn
Alexander Horn lässt sich für seine Malerei auf Holz, Acryl und Leinwand von fotografischen und filmischen Vorlagen inspirieren. Naturphänomene wie Wolken und Himmel, urbane Räume und figürliche Motive kommen in unterschiedlichen Werkgruppen vor.
Die drei hier gezeigten Gemälde befassen sich mit der Abstraktion von Perspektive und Atmosphäre. Zwischen dunklen, klar konturierten Flächen eröffnen helle Farbstreifen und mit sichtbarem Pinselduktus aufgesetzte Übermalungen den Tiefenraum des Bildes. Die Farbakzente und Farbspritzer geben den Malereien einen dynamischen bis explosiven Charakter. Als Diptychon konstruiert stellen die beiden großen Formate Landschaftsbildnisse dar, deren Ebenen durch die abstrahierende Geste der Malerei diffundieren. Der Künstler bezieht sich mit diesen Werken und deren Titel auf das Album Apostrophe (‘) von Frank Zappa.
Alexander Horn (*1970) studierte an der Freien Kunstakademie Mannheim und lebt und arbeitet in Ludwigshafen am Rhein.
Emanuel Raab
Die Fotografien von Emanuel Raab zeigen eine subtile Überblendung von unterschiedlichen Perspektiven und Räumen. Architektonische Elemente wie Fenster, Fassaden, Rahmen und Leibungen, Kacheln oder Vorhänge werden zu farbigen, transparenten oder spiegelnden Oberflächen. Mit phänomenologischem Blick konstruiert Raab fotografisch abstrakte und von formaler Präzision geprägte Bilder. Der Künstler erzeugt in seinem Werk zwar die Anmutung digitaler Bildbearbeitung, seine Arbeit basiert jedoch auf dem authentischen Moment der Fotografie. Die gewählten Ausschnitte, die Perspektive und Belichtung sind Teil des künstlerischen Blicks bei der Inszenierung der fotografischen Aufnahme. Die Situation des realen Raumes wirkt wie eine Illusion. Durch seine fein ausgesteuerte Aufnahmetechnik gelangt Raab zu poetischen Lichtsetzungen. In den Bildern tritt eine besondere, hyperrealistische Atmosphäre von Innen- und Außenräumen zu Tage. Mit dem Titel der Serie „Zwischenraum“ bezieht sich Raab auf die isolierten Blickwinkel, mit denen er Gebäude und Objekte in ihren zeitlichen, geografischen und architektonischen Zusammenhängen aufnimmt und verfremdet.
Emanuel Raab (*1957) studierte Film und Fotografie in Darmstadt und lebt und arbeitet in Neustadt/Weinstraße.
André Wischnewski
In seiner bildhauerischen Arbeit überführt André Wischnewski die Struktur des Comics in den Raum. Sofern der Künstler nicht direkt die Illustrationen aus den Seiten herausschneidet und dabei Leerstellen schafft, konstruiert er selbst überdimensionale Blattformate mit architektonisch anmutenden Rasterstrukturen, die an vergrößerte Comic-Strips aus Papier erinnern. Der monumentale Aktenordner ist ein Sammelsystem mit gestapelten Seiten, die von oben betrachtet tiefe Leerräume einsehbar machen. Ihre Schichtung ergibt eine Architektur der Erzählung, deren Ebenen über Blickachsen verbunden sind.
Ergänzend schafft der Künstler eine Raumzeichnung aus gebogenen und teilweise sich selbst organisierenden Schwarzstahlelementen. Er verbindet über die filigrane Konstruktion die Flächen und Ecken des Raumes und setzt Objekte wie Pfeifen oder einen Holzgriff als Protagonisten in die Module ein. Über die Abstraktion des Layouts von Comics gestaltet Wischnewski eine begehbare Fantasie.
André Wischnewski (*1983) studierte an der Kunstakademie Karlsruhe und lebt und arbeitet in Mannheim.
Myriam Holme
Myriam Holme arbeitet mit installativer Malerei im Ausstellungsraum. Sie setzt bevorzugt Aluminiumblech, Kupfer, Blattgold, Glas, Seife, Tusche und Lacke ein, um diese Materialien auf Basis von experimentellen Verfahren zu verformen, aufzulösen, zu verbinden und in Schichten zu überarbeiten.
Über den rissigen und kantigen Zuschnitt von Flächen und deren Biegung entfaltet die Künstlerin die hier ausgestellten skulptural ausgreifenden und reliefartigen Werke. So entstehen Querbezüge im Raum durch die Installation der Objekte und der sich überlagernden Anordnung. Glatte, metallisch reflektierende Bleche, die große Papierfläche mit den Spuren abgezogener Kupferplättchen und Verlaufspuren von Flüssigkeiten schaffen eine dynamische Oberfläche mit kontrastreicher Haptik. Die knapp über dem Boden schwebenden Formen erzeugen die Vorstellung von Leichtigkeit. Die Künstlerin bezeichnet ihre Arbeit als Resultat einer „archäologischen Malerei“, deren Bearbeitungsprozess die Tiefenschichten des Materialauftrags wie Sedimente wieder freilegt.
Myriam Holme (*1971) studierte an der Kunstakademie Karlsruhe und lebt und arbeitet in Mannheim.
Fritzi Haußmann
Fritzi Haußmann verarbeitet in ihren Objekten und Installationen den Gummi aufgefalteter Fahrradschläuche. Sie vernäht die aufgeschnittenen Streifen miteinander und gestaltet aus den so entstehenden Gummidecken wesenhafte Gebilde, die Wand und Boden bedecken. Es scheint, als könne sich die Form bewegen und verändern, obwohl sie doch fixiert ist.
Die dunkle, durch Nuancen des schwarz, silbrig und seidig schimmernden Gummis strukturierte Oberfläche der hier ortsspezifisch installierten Skulptur entfaltet eine unheimliche Lebendigkeit. Schattige Zwischenräume absorbieren das Licht, während der Geruch des Materials im Raum liegt.
Haußmann arbeitet prozessorientiert und entwickelt das jeweilige Werk aus dem Material und dem umgebenden Raum heraus. Körper und Objekt stehen in einem Zusammenhang, weshalb die Künstlerin auch Fragmente des Körperlichen herstellt, die dann in Performances eingesetzt werden. Das ebenfalls ausgestellte Video „kontaktarm“ zeigt die Interaktion zwischen Mensch und Objekt wie einen rhythmischen Tanz.
Fritzi Haußmann (*1970) studierte an der Hochschule Wiesbaden und der Freien Kunstakademie Mannheim und lebt und arbeitet in Frankenthal und Mannheim.
Hannah Schemel
Die zarte Schönheit des Unscheinbaren steht im Zentrum der fotografischen Arbeit von Hannah Schemel. Mit einer analogen Großformatkamera macht sie Aufnahmen von ihrer Heimat Schwarzwald und dem Meer in Quiberon, Frankreich, an immer wiederkehrenden Orten. Ausgehend von der mystischen Erscheinung des Schwarzwalds im Nebel, über den Horizont der Brandung am bretonischen Meer bis zum Blick auf Licht- und Schatten als Phänomene in der Landschaft erkundet die Künstlerin die Wahrnehmung der Welt. Sie arbeitet auf den Spuren des „Pinsels der Natur“, dem Ursprungsmythos der Fotografie, und bezieht Einflüsse der japanischen Malerei mit ihrer Leichtigkeit und der gewollten Asymmetrie in ihr Werk ein. Mit einem besonderen Verfahren, einer Platin-Palladium-Mischtechnik, verwandelt sie jedes Bild in ein Unikat. Hannah Schemel überträgt das fotografische Bild mit einem feinen japanischen Ziegenhaarpinsel auf ein speziell für sie entwickeltes handgeschöpftes Papier, wodurch ihr eine Atmosphäre des Chiaroscuro gelingt, in der die hell-dunkel Kontraste fließende Übergänge aufweisen. Schemels Arbeiten verbinden handwerkliche Tradition und schöpferische Originalität.
Hannah Schemel (*1994) studierte Kommunikationsdesign mit Schwerpunkt Fotografie an der Hochschule Mannheim.
Valentina Jaffé
Die Arbeit von Valentina Jaffé basiert auf Malerei, Papiercollagen und Keramik, in denen Pflanzendarstellungen und Farbspektren als Leitmotive den Bezug zwischen Natur, Farbe und Form darstellen. In unterschiedlichen Formaten, die sich zuweilen überlagern, bringt die Künstlerin mit Aquarelltechnik und zartem Pinselstrich die Kontur von Blättern oder Farbflächen auf. Die dezente, an natürlichen Farbtönen orientierte Zeichnung und Malerei wird im Raum mehrdimensional fortgesetzt. So schafft Valentina Jaffé etwa mit Stahlrahmen einen mobilen Paravent, über den eine lange Papierbahn ausgebreitet wurde. Mit dem Eingriff in den Raum setzt die Künstlerin auch ortsspezifische Akzente, indem sie Blickachsen und Blickwinkel einrichtet, sodass die einzelnen Werke in eine umfassende Installation eingegliedert werden. Die Fragilität der Werke spielt auf die Vergänglichkeit des menschlichen Erlebens wie auch der natürlichen Vegetation an. Mit vereinzelt eingesetzten Beschriftungen in den Werken thematisiert Valentina Jaffé außerdem den selbstreflexiven Bezug ihres eigenen Werkes im Kontext der Kunstgeschichte.
Valentina Jaffé (*1990) studierte an der Kunstakademie Karlsruhe und lebt und arbeitet in Mannheim.
emmanuel boos
emmanuel boos hat auf die Perfektion der Porzellanbearbeitung bewusst verzichtet. Vielmehr versucht er, die Herausforderung der Intimität und Fragilität bei seiner Arbeit mit dem kostbaren Material in skulpturale Objekte mit schillernden Oberflächen und verfremdeten Formen zu verwandeln. Der Künstler hat sich einen Gestaltungsspielraum erobert, indem er mit farblichen und formalen Experimenten poetische Effekte bei der Herstellung von Porzellan und Keramiken erzielt. Auf Basis von Mineraloxydmischungen entstehen geheimnisvoll leuchtende, mehrschichtige Glasuren mit changierenden Farbspektren auf den variationsreich geformten Monolithen. boos ist ein Grenzgänger zwischen traditionsreicher handwerklicher Profession und freiem künstlerischen Formenspiel. Sein Werk referenziert sowohl die Theatralität der Minimal Art und der abstrakten Konzeptkunst als auch die magische Praxis der Alchemie.
emmanuel boos (*1969) promovierte künstlerisch am Royal College of Art in London und lebt und arbeitet zwischen Paris und Mannheim.