Weblog von Thomas Köllhofer

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TERRA NOVA – Robbie Cornelissen: von der Zeichnung zum Film

TERRA NOVA – Robbie Cornelissen: von der Zeichnung zum Film

11.02.22
Introtext: 

Wie wird aus Zeichnungen ein Animations-Film (Zeichentrickfilm), und was ist der Vorteil eines Films gegenüber der Zeichnung?

Antworten auf diese Fragen kann man in der Ausstellung Terra Nova – Robbie Cornelissen bekommen. Der Künstler (*1954 in Utrecht/NL), lässt seit vielen Jahren großformatige Zeichnungen entstehen, die bis zu 240 cm hoch und 13 m lang sind. Eine Zeichnung von dieser Größe kann man nicht auf einmal überblicken. Steht man nah vor der Zeichnung, sieht man nur einen kleinen Ausschnitt wirklich klar. Außerhalb des Fokus wird das Gesehene undeutlich. Geht man weiter weg, so dass man die ganze Zeichnung in den Blick nehmen kann, so verlieren sich die Details. Beim Betrachten der großen Zeichnungen produzieren die Besucher*innen automatisch eine Art Film im Kopf, indem sie unterschiedliche, aufeinander folgende Eindrücke miteinander verbinden.

Eine Zeichnung kann, wie ein Gemälde oder eine Fotografe, eine Geschichte erzählen, indem sie Verweise auf ein Davor und ein Danach beinhaltet. Allerdings entspringen die Bilder zu dieser Geschichte immer der Vorstellung der betrachtenden Personen. Dies ist ein sehr wertvoller, phantasievoller Prozess, der die Kreativität der Betrachtenden fordert. Gleichzeitig muss die Verständlichkeit der Verweise im Bild so groß sein, dass eine nachvollziehbare Handlung entsteht. Dies wiederum setzt eine gemeinsame Bildung im Erkennen von Bildtraditionen voraus, die es ermöglicht, dass bestimmte Metaphern oder Hinweise erkannt werden. Wenn Adam von Eva einen Apfel entgegen nimmt, dann hängt meist im Baum dahinter noch irgendwo die Schlange. In der Vorstellung können wir uns die dazugehörende Geschichte erzählen, weil wir wissen, dass es erst die Schlange war, die Eva aufgefordert hat, gegen das von Gott gegebene Verbot, den Apfel vom Baum der Erkenntnis zu pflücken, zu verstoßen. Das Bild zeigt dann „nur“ die Folge einer Handlung, die allerdings wesentlich und folgenreich ist, weil Adam, der ebenfalls vom Apfel abbeißt, dann mit Eva aus dem Paradies vertrieben wird.

Was aber können Künstler tun, wenn sie uns eine neue, bislang unbekannte Geschichte erzählen wollen? Manche Bilder laden durch die Vielzahl der dinglichen Details oder Handlungen dazu ein, sich zumindest den Teil einer Geschichte auszudenken. Leichter ist es, wenn die Künstler*innen eine Bildergeschichte erzählen. Diese Technik gibt es schon seit weit über 1.000 Jahren. Sie war dann besonders erfolgreich, wenn die Abbildungen mit einem Text verbunden wurden, der die Darstellungen erklärt oder umgekehrt. Der Comic oder die Graphic-Novel nutzen diese Technik, indem sie eine Folge von Abbildungen mit erklärenden Texten und Sprechblasen mischen, die einzelne Figuren aktiv werden lassen.

Aber alle diese Techniken sind statisch. Die Bilder stehen fest, die Welt dreht sich nicht, und auch die Zeit steht still. Wenn wir auf einer Zeichnung einen Punkt und eine Linie sehen, so sehen wir das Ergebnis einer Handlung. Der Punkt entstand zu einem ZeitPUNKT, während die Linie das Ergebnis der Bewegung eines Stiftes auf dem Papier ist. Die Linie ist eines der einfachsten Symbole für den Verlauf der Zeit.

Wenn Künstler*innen während des Zeichnens einer Linie immer wieder stoppen und ein Foto vom jeweiligen Zustand der Zeichnung machen, diese Fotos in eine Reihe aneinanderfügen und diese Reihe dann als Film ablaufen lassen, dann können die Betrachtenden sehen wie die Linie von einem Punkt ausgehend im Verlauf einer bestimmten Zeit zu einem anderen Punkt wächst. Wenn die Geschwindigkeit der nacheinander gezeigten Zeichnungen mindestens 16 Bilder pro Sekunde beträgt, entsteht in unserem Auge der Eindruck einer flüssigen Bewegung, ein Film.

In den Filmen von Robbie Cornelissen kann man zuschauen, wie durch die Addierung von Linien das Bild eines Hauses oder Raumschiffs entsteht. Wir können dem Künstler förmlich bei der Entstehung eines Werkes über die Schulter schauen. In der Ausstellung Terra Nova – Robbie Cornelissen sehen wir nicht nur die fertigen Zeichnungen in der Ausstellung, sondern auch, wie sie entstanden sind und wie sie jetzt Teil einer Erzählung werden.

Filme können aber viel mehr, als nur Bewegung sichtbar zu machen. Sie können beispielsweise rückwärts abgespielt werden, so dass sich die Entstehung eines Gebäudes umkehrt, die Linien sich eine nach der anderen zurückentwickeln, bis zuletzt nur das weiße Blatt übrig bleibt. Außerdem können Bewegungen beschleunigt oder verlangsamt werden, wodurch sich die Aufmerksamkeit kaum noch der Betrachtung entziehen kann. Mit unterschiedlichen Dynamiken sind unterschiedliche Emotionen verbunden. Spätestens wenn im Film eine stetig zunehmende Beschleunigung der Bilder stattfindet, beschleunigt sich automatisch auch der Puls der Betrachtenden. Neben diesen Effekten gibt es noch die wechselnde Beleuchtung, die die Stimmungen wesentlich beeinflussen können und nicht zuletzt kann der Film mit Musik, Sprache oder Geräuschen hinterlegt werden, wodurch abermals die Stimmung der Bilderfolgen wesentlich beeinflusst werden können. So können auch allein aus Zeichnungen entstandenen Filme in den Betrachtenden ein Wechselbad der Gefühle auslösen, was der einzelnen Zeichnung so nicht möglich ist.

Dies alles können Sie in der Ausstellung TERRA NOVA – ROBBIE CORNELISSEN direkt nachvollziehen und sich auf die von Robbie Cornelissen in Zeichnungsfolgen und Filmsequenzen erzählte Reise zu Terra Nova begeben.

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Walker Evans: Erfinder der Dokumentationsfotografie

Walker Evans: Erfinder der Dokumentationsfotografie

04.06.20
Introtext: 

Walker Evans, der zwischen 1903 und 1975 lebte, war sicher einer der bedeutendsten amerikanischen Fotografen des 20. Jahrhunderts. Es gibt wenige Fotografen, die einen so großen Einfluss auf ganze Generationen nach ihnen hatten. Deshalb gab es zu seinen Lebzeiten und gibt es bis heute zahlreiche unter ihnen, die sich in ihrem Werk teils direkt auf konkrete Arbeiten von Evans beziehen, teils eher allgemeiner auf seine Art zu fotografieren.

Nun fragt man sich, was es war, das seine Arbeit so ganz besonders gemacht hat? Zwei Punkte sind hier besonders hervorzuheben: Evans war überzeugt davon, dass die wichtigste Aufgabe des Fotografen in der wachen Beobachtung der alltäglichen Welt um ihn herum liege. Er meinte, dass es nicht darum ginge, eine besonders kunstvolle Aufnahme zu machen, sondern eher einen Blick für das Schöne, für das Faszinierende des Alltags zu entwickeln und dieses festzuhalten. Entsprechend klebte er einen Zettel an seinen Spiegel mit der Erinnerung: Don´t be arty. Sei nicht künstlich/kunstvoll. In diesem Sinne könnte man sagen, dass Walker Evans der erste Dokumentationsfotograf war. Er beobachtete den Alltag der ganz gewöhnlichen Leute: Arbeiter, Farmer, Handwerker, nicht die Welt der Hochglanzmagazine mit dem Leben der Reichen und Berühmten.

Dies hinderte ihn aber nicht daran, für entsprechende Magazine zu arbeiten. Für die Zeitschrift Fortune, die nach dem zweiten Weltkrieg darauf spezialisiert war, neuestes Design vorzustellen, fotografierte Evans unter dem Titel „Die Schönheit der normalen Werkzeuge“ ganz billige, einfache, aber sehr verbreitete Werkzeuge wie Hammer, Zange oder Meisel. Dazu schrieb er einen Text, in dem er – durchaus etwas ironisch – die besondere Schönheit des Griffs einer Zange beschrieb. Und damit sind wir beim zweiten Punkt. Evans war ein guter Autor und er achtete sehr genau darauf, wo und in welchem Zusammenhang seine Fotografien veröffentlicht wurden. Er gab seine Aufnahmen nicht an Fotoagenturen, sondern er kontrollierte jede Veröffentlichung sehr genau und schrieb in der Regel auch die Texte zu seinen Fotografien selbst. Auch damit wurde er zum Vorbild für viele heutige Fotografen.

Kurioserweise wurde er aber durch eine Fotoserie berühmt, die er für die amerikanische Regierung aufnahm. Er sollte in der Zeit der wirtschaftlichen Rezession in den 1930er-Jahren Fotografien machen, die die zunehmende Armut „porträtierten“. Er fuhr nach Alabama und machte Fotos von Farmpächtern, die trotz härtester Arbeit kaum über die Runden kamen. Seine Aufnahmen der Familie Burroughs sind zu regelrechten Ikonen der Fotografie geworden, weil sie auf bis dahin nicht gekannte Weise ein nüchternes und ausgesprochen zeittypisches Porträt der armen amerikanischen Landbevölkerung wiedergaben.

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