Zwei Kunsthändler und die in Mannheim beschlagnahmten Graphiken
Nach ihrer Konfiszierung in der Kunsthalle geht eine Vielzahl der beschlagnahmten Graphiken durch die Hände zweier Kunsthändler. Zusammen waren Hildebrand Gurlitt (1895-1956) und Bernhard A. Böhmer (1892-1945) zumindest zeitweise im Besitz von mindestens 170 ehemaligen Mannheimer Blättern. Beide gehörten zu dem kleinen Kreis von Personen, die vom Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda (RMVP) zur „Verwertung“ der als „entartet“ konfiszierten Kunstwerke ermächtigt waren.
Hildebrand Gurlitt (1895-1956)
Bei 93 Graphiken der zerstörten Moderne-Sammlung der Kunsthalle lässt sich rekonstruieren, dass sie der Kunsthistoriker und -händler Hildebrand Gurlitt vom RMVP gekauft, getauscht oder in Kommission genommen hat. Die Tätigkeiten Gurlitts im Nationalsozialismus sind als komplex und vielschichtig zu begreifen. Als Händler „Entarteter Kunst“ wie auch als wichtiger Einkäufer für das Regime im besetzten Frankreich war er unmittelbar am Kunstraub der Nationalsozialisten beteiligt. Gleichzeitig muss er auch als Förderer der modernen Avantgarde und Opfer früher völkischer Hetzkampagnen gesehen werden. Sowohl die Leitung des König-Albert-Museums in Zwickau (1925-1930) wie auch des Hamburger Kunstvereins (1931-1933) musste er aufgrund nationalsozialistischer Propaganda aufgeben.
Unter den vormaligen Mannheimer Blättern, in deren Besitz Gurlitt ab 1938 gelangte, sind auch jene fünf Werke, die 2013 in der Sammlung seines Sohnes Cornelius (1932-2014) aufgefunden wurden. Dieser vermachte sie und andere Objekte aus dem sog. Schwabinger Kunstfund in seinem Testament dem Kunstmuseum Bern. Daher ist heute auch Ernst Ludwig Kirchners 1937 in der Kunsthalle beschlagnahmter Holzschnitt „Frau in der Nacht“ im Besitz des Berner Museums.
Bernhard A. Böhmer (1892-1945)
Der in den 1920er Jahren als Mitarbeiter von Ernst Barlach tätige Bildhauer und Maler wurde im Nationalsozialismus zu einem der führenden deutschen Kunsthändler. Ab 1938 zählte auch er zu den wenigen Personen, die Zugriff auf die in deutschen Museen konfiszierten Kunstwerke hatten. So gelangte Böhmer u. a. auch in den Besitz von mindestens 77 graphischen Arbeiten, die 1937 in der Kunsthalle beschlagnahmt worden waren. Anfang Mai 1945 beging der in Güstrow ansässige Kunsthändler Selbstmord. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich noch umfangreiche Bestände „Entarteter Kunst“ in seinem Haus.
Alleinerbe Böhmers war sein Sohn Peter (1932–2007), seine Tante Wilma Zelck (geb. Otte, 1912–1962) war als dessen Vormund bestimmt. Im Nachlass Böhmers befanden sich auch Restbestände „Entarteter Kunst“. Darunter waren auch viele Objekte, die der Funktionär im RMVP Rolf Hetsch (1903-1946) 1943/44 aus dem Depot beschlagnahmter Kunst im Berliner Schloss Schönhausen nach Güstrow hatte bringen lassen. 1947 stellte Kurt Reutti (1900-1967), Referent der Zentralstelle zur Erfassung und Pflege von Kunstwerken in der Sowjetischen Besatzungszone, rund 1.000 Werke bei Wilma Zelck in Rostock sicher und deponierte sie im Museum der Hansestadt. Während ein Teil davon an die Sammlungen zurückgegeben wurde, aus denen sie beschlagnahmt worden waren, verblieb ein anderer Teil im Bestand des Museums. 2009 übertrug das Bundesamt für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen die Eigentumsrechte an diesen Werken schließlich dem Kulturhistorischen Museum Rostock. Von dort stammt ein Großteil der ausgestellten Blätter.
Hrsg. Thomas Kollhöfer, Mathias Listl, Ulrike Lorenz, reich illustrierter Katalog in Deutsch und Englisch (120 S., über 150 farbige Abb., gebunden), 19,50 €, ISBN 978-3-89165-239-8